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AG Mannheim, Urteil vom 22. Mai 2015 – 3 C 308/14

Tenor

1. Das Versäumnisurteil des AG Mannheim vom 11.12.2014 bleibt aufrecht erhalten.
2. Die Klägerin trägt auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht mit ihrer Klage unter Berufung auf eine vermeintlich bestehende Leistungsfreiheit / Möglichkeit einer Leistungskürzung Rückzahlungsansprüche im Hinblick auf bereits regulierte Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 29.10.2012 geltend. Der Beklagte war im Rahmen einer KFZ – Haftpflichtversicherung Versicherungsnehmer der Klägerin. Am 29.10.2012 befuhr der Beklagte mit seinem Pkw die Jungbuschbrücke in Richtung Ma-Innenstadt. Gegen 5.40 Uhr verlor er die Kontrolle über sein Fahrzeug und kollidierte frontal mit einem Fahrzeug auf der Gegenspur. Das Beklagtenfahrzeug hatte Sommerreifen aufgezogen. An beiden Fahrzeugen entstand jeweils Totalschaden. Die Insassen des entgegenkommenden Fahrzeugs wurden verletzt. Die Klägerin regulierte als Haftpflichtversicherer die Schäden des Unfallgegners mit (bislang) 7.080,82 €.

Die Klägerin behauptet, am Unfalltag seien winterliche Straßenverhältnisse vorhanden gewesen, der Unfall habe sich dadurch ereignet, dass der Beklagte bei Eisglätte ins Schleudern gekommen sei. Der Beklagte sei zu schnell, mit einer nicht angepassten Geschwindigkeit gefahren und nicht mit den nach § 2 IIIa StVO vorgeschriebenen Reifen unterwegs gewesen. Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe dadurch den Versicherungsfall vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig herbeigeführt, indem er in Kenntnis der winterlichen Verkehrsverhältnisse das Fahrzeug ohne angemessene Bereifung geführt habe. Außerdem bedeute das Fahren mit Sommerreifen, ohne Winterreifen bzw. M + S Reifen eine vorsätzliche Gefahrerhöhung i.S.d. §§ 23, 26 VVG, da es bereits Tage vor dem Unfallereignis Temperaturen deutlich im Minusbereich gegeben habe.

Die Klägerin ist daher der Auffassung, sie sei nach den Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung, hier Ziffer D.3.3 Satz 3 AKB berechtigt, den Beklagten in Regress zu nehmen, es bestehe eine Leistungsfreiheit sie mache zu Recht nach diesen Bedingungen eine Forderung i.H.v. 5.000.- € geltend. Nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2014 keinen Antrag stellte, wurde mit Versäumnisurteil vom 11.12.2014 die Klage abgewiesen. Nach erfolgtem Einspruch beantragt die Klägerin:

1. Das Versäumnisurteil vom 11.12.2014 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5.000,-€ nebst Zinsen i.H.v. 5% über dem Basiszinssatz seit 10.01.2013 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt: Das Versäumnisurteil des AG Mannheim vom 11.12.2014 bleibt aufrecht erhalten. Der Beklagte ist der Auffassung, er sei nicht verpflichtet gewesen, Winterreifen aufzuziehen. Die Witterungsverhältnisse hätten dazu keinen Anlass gegeben. Er wäre nicht zu schnell gefahren. Es sei allenfalls von wechselhaften Wetterverhältnissen auszugehen, eine mögliche Fahrbahnglätte sei lediglich lokal bei einer Stelle der Jungbuschbrücke festzustellen gewesen. Der Unfall sei auch nicht mit Winterreifen zu vermeiden gewesen. Das Gericht hat letztmals mündlich verhandelt im Termin vom 02.04.2015. Auf das Sitzungsprotokoll wird hingewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Weder besteht eine Leistungsfreiheit / Möglichkeit zur Leistungskürzung aufgrund einer vorsätzlich oder grob fahrlässig vorgenommenen Gefahrerhöhung (§ 23, 26 VVG) noch eine Leistungsfreiheit / Möglichkeit zur Leistungskürzung aufgrund einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls (§ 81 VVG).

Gefahrerhöhung: Eine Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 I VVG ist vorliegend nicht gegeben, da nicht erkennbar ist, dass der Beklagte ein verkehrsunsicheres Fahrzeug längerfristig genutzt hat.
Grundsätzlich kann mit der Weiterbenutzung oder Inbetriebnahme eines verkehrsunsicheren Fahrzeugs eine Gefahrerhöhung begründet werden (Heß/Burmann, Rechtsfragen bei Verstoß gegen die Winterreifenpflicht, NJW Spezial 2011, 9 unter Hinweis auf BGH NJW-RR 1990, 93). Die Benutzung eines PKWs mit winteruntauglichen (Sommer-)Reifen kann daher grds. als Benutzung eines verkehrsunsicheren Fahrzeugs gesehen, wenn die Witterungsverhältnisse und Straßenverhältnisse die Benutzung von Winterreifen oder M + S Reifen gebieten. Eine Gefahrerhöhung kann jedoch nur dann bejaht werden, wenn der PKW (mit Sommerreifen) bei durchgehend herrschenden winterlichen Straßenverhältnissen längerfristig bzw. für längere Fahrten benutz wird, wofür der Versicherer darlegungs-und beweisbelastet ist (so zur Beweislast und zur Frage der Längerfristigkeit Heß/Burmann aao). Vorliegend ist eine solche Gefahrerhöhung weder substantiiert vorgetragen noch erkennbar.
Zum Unfallzeitpunkt herrschten keine (durchgehenden) winterlichen Straßenverhältnisse. Es kann dahin gestellt bleiben, ob Tage vor dem Unfall (für die Region Mannheim und die Jahreszeit) ungewöhnlicher Schneefall herrschte, es kann dahin gestellt bleiben, ob zum Unfallzeitpunkt deutliche Minustemperaturen von ca. -5 bis -7 Grad herrschten (so die Klage vom 13.10.2014) und es kann dahin gestellt bleiben, ob an der Unfallstelle eine (lokale) Glatteisbildung vorhanden war.

Es ist in diesem Zusammenhang festzustellen, dass der Niederschlag (Schnee) in Mannheim am 27.10.2012 endete, die von Klägerseite angegeben Temperaturen unrichtig und unvollständig sind und die Suggestion, die Straße(n) sei(en) insgesamt winterglatt und mit Eis bedeckt gewesen, sich allenfalls auf einzelne Stellen beschränken konnte – wozu die Unfallstelle ggfs. zählte. Darüber hinaus war weiter festzustellen, dass eine ursprüngliche vorhandene Wetterwarnung wegen Glatteis am 28.10. um 21.52 Uhr aufgehoben wurde (www.chklein.de/wetter7/dwdwarnings), zum Unfallzeitpunkt also offenkundig keine Wetterwarnung herausgegeben worden war.

Aus Sicht des Gerichts stellt sich die Straßensituation damit so dar, dass die Straßen im Stadtgebiet im Wesentlichen schnee- und eisfrei waren, allenfalls partiell (an Brücken und sonstigen kältegefährdeten Stellen) mit Eisbildung/Glättebildung zu rechnen war. Dies sind (noch) keine (durchgehenden) winterlichen Straßenverhältnisse, die das Aufziehen von Winterreifen zwingend erforderlich gemacht hätten, die Weiterbenutzung des PKWs mit Sommerreifen ist damit in dieser konkreten Konstellation bereits keine Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 I VVG. Weiter – selbst bei unterstellten winterlichen Straßenverhältnissen – ist nicht vorgetragen und nicht erkennbar, dass der Beklagte sein Fahrzeug bei entsprechenden Verhältnissen längerfristig (für längere Fahrten oder für wiederholte Fahrten) benutzt haben könnte. Bekannt ist hier lediglich die Fahrt, die zum Unfall geführt hat. Wie lange diese Fahrt gedauert hat, ob es sich dabei um eine von zahlreichen Fahrten (bei winterlichen Straßenverhältnissen) gehandelt hat, ist nicht vorgetragen, nicht erkennbar. Die Aussage des Beklagten, er sei noch nicht dazu gekommen, Winterreifen aufzuziehen, lässt zu Gunsten des Beklagten durchaus die Möglichkeit offen, er habe binnen kurzer Zeit beabsichtigt, dies zu tun, was gegen eine Längerfristigkeit der Sommerreifennutzung (bei winterlichen Straßenverhältnissen) spricht.

Letztlich ist auch eine Kenntnis des Beklagten von einer möglichen Gefahrerhöhung nicht erkennbar – wenn davon auszugehen ist, dass Glatteis nur partiell auftrat, Wetterwarnungen keine gegeben waren, woraus sollte sich dann eine Kenntnis des Beklagten von gefahrerhöhenden Umständen in der konkreten Situation ergeben ? Allein die Aussage seiner Beifahrerin, sie habe bemerkt, dass die Straße glatt sei, lässt einen Schluss auf vorhandene oder nicht vorhandene Kenntnisse des Klägers nicht zu – unabhängig davon, dass nach den obigen Ausführungen das Bemerken von Glätte auf einer Brücke während einer bereits begonnenen Fahrt nicht ausreichend ist, hier eine Kenntnis von durchgehend vorhandenen, gefahrerhöhenden Umständen annehmen zu können. Der Versicherungsnehmer muss die Änderung der Risikolage auch erkannt haben und in Kenntnis dessen das Fahrzeug weiter benutzt haben – dies ist nicht der Fall, wenn er unmittelbar vor dem Unfall bemerkt, dass die Straße glatt ist.

Grob fahrlässige Herbeiführung eines Versicherungsfalls: Eine vorsätzliche Herbeiführung eines Versicherungsfalls ist zwar in der Klage (ohne nähere Angaben hierzu) behauptet, jedoch nicht erkennbar – selbst ein bedingter Vorsatz würde voraussetzen, dass der Beklagte das Unfallgeschehen billigend in Kauf genommen hat; dies erscheint lebensfremd. Weshalb die Klägerin – ohne weiteren Tatsachenvortrag – eine solche Behauptung von sich gibt, ist wenig nachvollziehbar.

Eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls ist nicht anzunehmen. Das Unterlassen, Winterreifen oder M + S Reifen aufzuziehen ist in der vorliegenden Konstellation nicht grob fahrlässig. Der Gesetzgeber sieht keinen Zeitrahmen vor, in dem Winterreifen, bzw. M+S Reifen auf einem Fahrzeug aufgezogen sein müssen.

§ 2 IIIa 1 StVO besagt, dass bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte ein Kraftfahrzeug nur mit Reifen gefahren werden darf, die die in Anhang II Nummer 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG des Rates vom 31. März 1992 über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern und über ihre Montage (ABl. L 129 vom 14.5.1992, S. 95), die zuletzt durch die Richtlinie 2005/11/EG (ABl. L 46 vom 17.2.2005, S. 42) geändert worden ist, beschriebenen Eigenschaften erfüllen (M+S-Reifen).

Eine feste Vorgabe, ab wann besagte Reifen aufzuziehen sind, gibt es allerdings nicht. Es gelten lediglich Empfehlungen, die allerdings sehr vage formuliert sind. Aus Sicht des Gerichts werden dabei regionale Gegebenheiten nicht beachtet, sind solche jedoch beachtlich, da auf jeden Einzelfall gesondert abzustellen ist, gerade keine allgemeinverbindlichen Regelungen getroffen und keine entsprechenden Aussagen gemacht werden können. Es gibt Empfehlungen von Oktober bis Ostern mit Winterreifen bzw. M + S Reifen zu fahren (https://www.adac.de/infotestrat/reifen/winterreifen/winterreifenpflicht) oder die sogenannte 7°C Regel für den Einsatz entsprechender Winter- oder M +S Reifen (http://www.warum-winterreifen.de/winterreifenpflicht/warum-winterreifen.php). Nach beiden Empfehlungen, die nicht erschöpfend aufgezählt sind, wäre es vorliegend durchaus angebracht gewesen Winterreifen aufzuziehen. Allerdings ist zu beachten, dass diese Regeln für ganz Deutschland gelten und die regionstypischen Witterungsverhältnisse komplett ignorieren. Gerade wegen der unterschiedlichen regionalen Witterungsverhältnisse (Mannheim hat im Zweifel andere Wetterverhältnisse als München oder Hamburg) und der teilweisen enormen Schwankungen von Jahr zu Jahr ist aus Sicht des Gerichts eine Betrachtung des Einzelfalles geboten.

Betrachtet man den Oktober 2012, so ist festzustellen, dass es sich bis zum 20. Oktober jedenfalls in Mannheim um einen eher milden Oktober gehandelt hat (am 20.10.2012 herrschten noch zweistellige Plusgrade (vgl. http://www.mannheim-wetter.info/archiv/blog/?m=201210)). Erst in den Tagen unmittelbar vor dem Unfall lagen erste winterliche Witterungsverhältnisse vor.

Sollte der Beklagte an diesen Tagen (vor dem Unfall) seinen Pkw genutzt haben, hätte aus Sicht des Gerichts unter Umständen eine Winterreifenpflicht für diese Tage bestanden. Diese Tage sind allerdings nicht maßgeblich. Maßgeblich ist der Unfalltag – für diesen ist jedoch gerade nicht erkennbar gewesen, dass Winterreifen benötigt werden würden (siehe oben). Die Witterungsverhältnisse (so wie oben bereits näher dargestellt) konnten nicht als Anlass genommen werden, von einer Winterreifenpflicht auszugehen. Allein die Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Unfalls Temperaturen im Minusbereich vorgelegen haben und zwei Tage vor dem Unfallgeschehen Schnee gefallen war, führt noch nicht zu winterlichen Straßenverhältnissen und damit noch nicht zu einer Winterreifenpflicht, jedenfalls aber nicht zur Annahme einer groben Fahrlässigkeit, wenn noch keine Reifen gewechselt wurden.

Alleine das Bewusstsein, dass das Fahren von Sommerreifen im Winter Gefahren mit sich bringen kann, von Oktober bis Oster es möglicherweise ratsam sein könnte, Winterreifen aufzuziehen, bei Temperaturen unter 7 Grad Winterreifen oder M + S reifen bessere Hafteigenschaften aufweisen, reicht als Begründung einer groben Fahrlässigkeit für die konkret zu beurteilende Situation nicht aus – die darüber hinaus auch durch die Klägerin zu beweisen wäre (zumindest im Hinblick auf die Tatsachen, aus denen sich das Gewicht der groben Fahrlässigkeit ergibt, Prölls/Martin VVG 29. Auflage 2015, § 81 Rdn. 67). Diesbezüglich bietet die Klägerin allerdings keinen Beweis an. Sie verweist lediglich auf die Wetterverhältnisse (vgl. oben).

Auf die konkrete Fahrt mit Sommerreifen ist keine grobe Fahrlässigkeit – es herrschten, wie bereits oben ausgeführt, keine winterlichen Straßenverhältnisse, eine Wetterwarnung war zum Unfallzeitpunkt aufgehoben. Es ist nicht erkennbar, dass dem Beklagten bei Beginn seiner Fahrt in irgendeiner Weise hätte bewusst sein können oder gar müssen, dass das Fahren mit seinem Fahrzeug nur mit einem erhöhten Unfallrisiko möglich ist (aktueller Schneefall, starker Regen bei Minustemperaturen, eine geschlossenen Schneedecke, Schneeregen o.ä., die eine derartige Annahme nahegelegt und aufgedrängt hätten, war gerade nicht gegeben). Weder war es an diesem Morgen ungewöhnlich kalt (laut Polizeibericht herrschten zum Unfallzeitpunkt -3°C) noch gab es an diesem Tag Niederschlag, der auf Glatteis hätte schließen lassen (vgl. dazu auch LG Hamburg, Urteil vom 02.07.2010, 331 S 137/09, zitiert nach Wenker, jurisPR-VerkR 20/2010 Anm. 3).

Ergänzend ist auszuführen, dass auch die Frage der Kausalität der fehlenden Winterreifen für das Unfallgeschehen nicht geklärt erscheint. Es ist aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend dargelegt, dass der Unfall mit Winterreifen hätte verhindert werden können, der Unfallbericht der Polizei verweist ausdrücklich auch auf überhöhte Geschwindigkeit als Unfallursache, wobei nicht verkannt werden soll, dass auch eine Mitursächlichkeit ausreichend für eine Leistungskürzung nach § 81 VVG ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin selbst von einer Leistungsfreiheit und nicht von der Möglichkeit einer Leistungskürzung ausgeht, eine Abwägung der jeweiligen Verursachungsmöglichkeiten findet daher auf Seiten der Klägerin nicht statt.

Ergebnis: Das Versäumnisurteil, mit dem die Klage abgewiesen wurde, war daher aufrecht zu erhalten, die Nebenentscheidungen ergeben sich insgesamt aus §§ 91 I, 708 Nr. 11 ZPO