Beweislastumkehr bei grobem tierärztlichen Behandlungsfehler


November 2016.

Das aktuelle Patientenrechtegesetz sieht in § 630 h Absatz 5 des bürgerlichen Gesetzbuches eine Beweislastumkehr zugunsten des Patienten vor, die bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers durch den Arzt gelten soll. Der Patient muss dann nicht mehr beweisen, dass der eingetretene Gesundheitsschaden auch auf die fehlerhafte Behandlung zurückzuführen ist, sondern der Arzt muss sich hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen eingetretenem Schaden und fehlerhafter Behandlung entlasten.

Die oftmals bestehende Unaufklärbarkeit eines medizinischen Zusammenhangs in diesem Punkte schlägt sich dann bei der rechtlichen Würdigung zu Lasten desjenigen nieder, dem die Beweislast obliegt. Doch ist dieser in der Rechtsprechung bezüglich der Humanmedizin entwickelte und nunmehr auch gesetzlich verankerte Grundsatz auch auf den Bereich der Tiermedizin übertragbar? Der Bundesgerichtshof bestätigt dies in einem aktuellen Urteil (BGH, 10.05.2016, VI ZR 247/15).
Der behandelnde Tierarzt hatte in dem zu entscheidenden Fall bei einem Hengst eine Verletzung an der Innenseite des rechten Hinterbeins festgestellt, die Wunde verschlossen und die Anweisung erteilt, das Pferd zwei Tage lang zu schonen. Dann könne es wieder geritten werden, sofern keine Schwellung im Wundbereich eingetreten sei. Beim Wiederantrainieren des Hengstes zeigten sich jedoch Taktunreinheiten. Eine weitere Untersuchung ergab eine Fraktur der Tibia hinten rechts, deren Operation misslang, so dass das Pferd euthanasiert werden musste.

Die Eigentümerin des Hengstes verklagte den Tierarzt auf Zahlung von Schadensersatz für den Verlust des Tieres im sechsstelligen Bereich. Dem Beklagten sei vorzuwerfen gewesen, bei der ersten Untersuchung keine Lahmheitsuntersuchung im Trabe durchgeführt zu haben. Diese wiederum hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits die Funktionsbeeinträchtigung des rechten hinteren Beines ergeben, was wiederum zu weiterer Diagnostik, d.h. Röntgenuntersuchung und weiteren Vorkehrungen hätte führen müssen. Nach dem Befund der Funktionsbeeinträchtigung hätte strikte Boxenruhe verordnet werden müssen. Das Unterlassen all dieser Maßnahmen sei grob fehlerhaft gewesen. So stellten es die beiden erstinstanzlichen Gerichte bereits zweifelsfrei fest. Hingegen nicht mehr aufklärbar war naturgemäß, ob die fehlerhafte tierärztliche Vorgehensweise auch ursächlich für die vollständige Ausbildung der Fraktur und für die daraus folgende Euthanasierung geworden war. Diese Unaufklärbarkeit des kausalen Zusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und eingetretenem Schaden sollte nun zu Lasten des Tierarztes gehen, wogegen sich dieser mit der Revision beim Bundesgerichtshof zur Wehr setzte, mit der Begründung, die in § 630 h BGB manifestierten Grundsätze zur Beweislastumkehr in der Humanmedizin könnten nicht auf die veterinärmedizinische Behandlung übertragen werden – im Ergebnis erfolglos.

Denn der BGH bestätigte nunmehr erstmalig, dass die in der Humanmedizin geltenden Grundsätze der Beweislastumkehr auch im Falle des groben Behandlungsfehlers auf die Veterinärmedizin entsprechend anzuwenden seien. Beide Tätigkeitsbereiche seien vergleichbar, da sie sich auf einen lebenden Organismus bezögen, der einer gewissen Undurchschaubarkeit und Eigengesetzlichkeit unterliege. Bei beiden Tätigkeiten schuldet der Arzt deswegen das Bemühen um Heilung, aber nicht den Erfolg. Tierärztliche Behandlungsverträge fallen zwar nicht unter das Patientenrechtegesetz. Die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten miteinander, die sich auf den lebenden Organismus beziehen spreche für eine Gleichbehandlung. Dafür spreche auch der zentrale Gedanke eines ethisch fundierten Tierschutzes, dass der Mensch für das Tier als Mitgeschöpf und schmerzempfindenden Wesen Verantwortung trage. Somit führe der grobe Behandlungsfehler des Tierarztes ebenfalls zur Beweislastumkehr und zwar ohne ein eigenes Ermessen des Tatrichters im Einzelfall, d.h. das entscheidende Gericht muss die Beweislastregeln zwingend so anwenden, dies gebietet wiederum der Grundsatz der Rechtssicherheit. Wird also durch ein Gericht ein grober Behandlungsfehler in der Vorgehensweise eines Tierarztes gesehen, dann geht die Unaufklärbarkeit der Frage, ob der eingetretene Schaden auch auf diese Vorgehensweise zurückzuführen ist, zu Lasten des Tierarztes. So waren in der Vergangenheit auch einige Urteile von Oberlandesgerichten ausgefallen: z.B. im Falle des frühzeitigen Verlasses des Pferdes nach einer Schockbehandlung, ohne abzuwarten, ob sich der Kreislauf stabilisiert, so dass es wieder aufstehen konnte. Das Pferd verstarb. Der Tierarzt musste nun beweisen, dass der Tod des Pferdes nicht durch sein Verlassen eingetreten war, was ihm nicht gelang. Denn im Nachhinein ließ sich nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit aufklären, ob weitere tierärztliche Maßnahmen dem Tier noch hätten helfen können (OLG Köln, 31.7.2002, 5 U 46/02). Ebenfalls einen groben Behandlungsfehler erkannte das Gericht bei der Entfernung einer Birkelandfraktur, die ohne Indikation durch Lahmheit nicht notwendig gewesen war (OLG Hamm, 21.02.2014, 26 U 03/11).

Anders hatte ein Gericht im Falle eines groben Behandlungsfehlers bei der Behandlung von Katzen entschieden. Hier konnte der Patienteneigentümer nicht mehr beweisen, dass der Tod der Katzen auf den groben Fehler des Tierarztes zurückzuführen war, da er die toten Tiere bereits entsorgt hatte, ohne sie zuvor obduzieren zu lassen (OLG Koblenz, 18.12.2008, 10 U 73/08).