BAG erneuert Rechtsprechung zur Gehaltsanrechnung bei Freistellung

13.02.2025 – Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Urteil vom 12. Februar 2025 (5 AZR 127/24) klargestellt, dass ein Arbeitnehmer, der während einer arbeitgeberseitigen Freistellung innerhalb der Kündigungsfrist keine neue Beschäftigung aufnimmt, in der Regel nicht böswillig i.S.d. § 615 Satz 2 BGB anderweitigen Verdienst unterlässt. Dies erschwert es Arbeitgebern, sich bei Freistellung des auf eine fiktive Anrechnung von Einkommen zu berufen und Lohnzahlungen zu kürzen bzw. zu verweigern.

Sachverhalt
Der Kläger war als Senior Consultant tätig und verdiente monatlich 6.440,00 Euro brutto. Sein Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2023 und stellte ihn unter Einbringung von Resturlaub unwiderruflich von der Arbeit frei. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage, die in beiden Instanzen erfolgreich war.

Der Kläger meldete sich nach Erhalt der Kündigung arbeitssuchend. Während der Freistellung erhielt der Kläger dann ab Anfang Juli 2023 Vermittlungsvorschläge von der Agentur für Arbeit. Der Arbeitgeber hatte ihm bereits im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 Stellenangebote übermittelt, wobei sich der Kläger jedoch erst ab Ende Juni 2023 auf einige dieser Angebote bewarb. Der Arbeitgeber verweigerte die Gehaltszahlung für Juni 2023 mit der Begründung, der Kläger hätte sich früher bewerben und ein neues Arbeitsverhältnis eingehen müssen.

Entscheidung des BAG
Das BAG bestätigte die Auffassung der Vorinstanz und stellte klar:
• Der Arbeitgeber befand sich aufgrund der einseitigen Freistellung im Annahmeverzug und schuldet dem Kläger daher die Vergütung für die gesamte Kündigungsfrist (§ 615 Satz 1 BGB i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB).
• Eine fiktive Anrechnung anderweitigen Verdienstes kommt nur in Betracht, wenn der Arbeitnehmer seine Erwerbsobliegenheit „wider Treu und Glauben“ verletzt.
• Da die Freistellung durch den Arbeitgeber erfolgte, bestand keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, vor Ablauf der Kündigungsfrist eine neue Stelle anzunehmen. Der Arbeitgeber konnte nicht darlegen, dass ihm eine Weiterbeschäftigung des Klägers und somit die Erfüllung dessen Beschäftigungsanspruchs während der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre.

Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil verschärft die Anforderungen an Arbeitgeber bei der Verweigerung von Lohnzahlungen während der Freistellung. Eine fiktive Anrechnung anderweitigen Verdienstes setzt voraus, dass der Arbeitnehmer sich treuwidrig weigert, eine neue Stelle anzunehmen. Bloße Untätigkeit vor Ablauf der Kündigungsfrist reicht hierfür regelmäßig nicht aus. Das BAG geht davon aus, dass die Regelung des § 615 Satz 2 BGB eine Billigkeitsregelung enthält, nach der die Verpflichtungen des Arbeitnehmers zu anderweitigem Erwerb im Zusammenhang mit den Pflichten des Arbeitgebers aus dem Arbeitsvertrag zu sehen sind. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich auch während der laufenden Kündigungsfrist zur Beschäftigung des Arbeitnehmers arbeitsvertraglich verpflichtet, und nach der Entscheidung des höchsten deutschen Arbeitsgerichts hätte der Arbeitgeber im vorgenannten Fall darlegen müssen, dass ihm die Weiterbeschäftigung unzumutbar gewesen wäre. Abgesehen davon, dass eine solche Unzumutbarkeit in vielen Fällen nicht vorliegen dürfte, wäre es für den Arbeitgeber wohl auch nicht leicht, in einem arbeitsgerichtlichen Prozess das Bestehen einer Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers während der Freistellung im Rahmen der Kündigungsfrist hinreichend darzulegen und nachzuweisen. Arbeitgeber sollten daher genau prüfen, ob eine unwiderrufliche Freistellung des Arbeitnehmers sinnvoll ist oder möglicherweise auch dessen Weiterbeschäftigung während der Kündigungsfrist in Betracht kommt. Im letzten Fall würde sich die Problematik der Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes nicht stellen.