Tierarztkosten contra Restwert des Tieres

Tierarztkosten sind seit der Änderung der Gebührenordnung für Tierärzte gestiegen. Wie verhält sich die Schadensprognose im Haftungsfall, wenn die Behandlungskosten des verletzten Tieres dessen tatsächlichen Restwert erheblich übersteigen? Seit dem Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 15.2.2023 ist diese Frage durch die Rechtsprechung klar beantwortet worden. Auch bei einem nur geringen Restwert des Tieres sind die Heilbehandlungskosten in vollem Umfang ersatzfähig, wenn ein persönliches emotionales Interesse des Besitzers am Gesundheitszustand des Pferdes besteht und die vorgenommenen tierärztlichen Maßnahmen damit im Zusammenhang stehend vertretbar waren (OLG Celle 15.02.2023, 20 U 36/20).

Ein Hund lief über eine Pferdekoppel und jagte ein Pferd darüber, was in der Folge aus der Koppel ausbrach, stürzte und sich dabei schwer verletzte. Es musste zunächst nottierärztlich versorgt und anschließend in eine Tierklinik verbracht werden. Dort wurde das Pferd mehrfach erfolgreich operiert und schließlich entlassen. Dem Geschädigten entstanden dadurch Tierarztkosten in Höhe von insgesamt über 14.000 Euro. Das zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alte Pferd hatte nach dem Wertgutachten eines Sachverständigen einen Verkehrswert von ca. 300 €. Damit überstiegen die Behandlungskosten den Restwert über das 49-fache. Das Landgericht befand dies aber nicht als unverhältnismäßig, da der operative Eingriff veterinärmedizinisch erforderlich gewesen sei, um den Schutz des Tieres als Lebewesen zu erhalten und fördern und der Eingriff auch erfolgreich gewesen sei, sodass das Pferd noch ein paar Jahre gut weiterleben würde. Die Kosten seien unter Tierschutzgesichtspunkten verhältnismäßig. Auf Beklagtenseite wehrte sich die Hundehalterin (mit dahinterstehender Haftpflichtversicherung) gegen das Urteil, welches aber auch in zweiter Instanz bestätigt wurde. Grundsätzlich sind bei der Beschädigung einer Sache sämtliche erforderlichen Kosten zur Wiederherstellung der Sache in den Zustand, den sie vor dem schädigenden Ereignis hatte, zu ersetzen. Bei einem Pferd handelt es sich zwar nicht um eine beschädigte Sache, sondern um ein Tier, welches jedoch gemäß § 90a BGB wie eine Sache zu behandeln ist, sodass auch die Regeln des Schadensersatzrechts für die Kosten der Heilbehandlung von Tieren ergänzend anzuwenden seien. Das Oberlandesgericht Celle berief sich hierzu auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 2015. Hier hatte der Bundesgerichtshof bereits ausgeführt, dass im Falle der Verletzung eines Tieres angesichts der herausgehobenen Anerkennung des Tierschutzes durch die Rechtsordnung Heilbehandlungskosten nicht bereits dann unverhältnismäßig seien, wenn sie den Wert des Tieres erheblich überstiegen. Ausgehend von der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf und schmerzempfindliches Lebewesen verbiete diese Vorschrift bei der Schadensbemessung eine streng wirtschaftliche Betrachtungsweise. Es dürfe bei der Bemessung des Schadensersatzes nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die Verantwortung des Halters für sein Tier und das immaterielle Interesse an der Wiederherstellung seiner Gesundheit und seiner körperlichen Integrität berücksichtigt werden. Es bedürfe sodann einer wertenden Gesamtbetrachtung aller Umstände des konkreten Einzelfalls. Für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze komme es auf das Maß des Verschuldens des Schädigers, und das individuelle Verhältnis zwischen geschädigtem und verletzten Tier sowie darauf an, ob die aufgewandten Heilbehandlungskosten aus tiermedizinischer Sicht vertretbar gewesen sind (BGH, 27.10.2015, VI ZR 23/15). In dem Urteil des Bundesgerichtshofes ging es seinerzeit um einen verletzten Jack Russell Mischling, welcher von einem Wolfshund angegriffen worden und erheblich verletzt worden war. Die Tierarztkosten zur Rettung des Hundes beliefen sich insgesamt auf über 4000 €, was natürlich ebenfalls nicht im Verhältnis zum Wert des Mischlingshundes stand. Der Bundesgerichtshof befand bereits in diesem Falle, dass dies bei der Bemessung des Schadensersatzes keine Rücksicht finden dürfe. Es käme vielmehr darauf an, was ein verständiger Tierhalter in der konkreten Lage auch ohne fremdschädigendes Ereignis für sein Tier aufgewandt hätte. Keine Rolle dürfe bei der Bemessung spielen, in welchen Vermögensverhältnisse der Tierhalter selbst lebe und ob der Schädiger haftpflichtversichert sei. Im Falle des 24-jährigen Pferde war ausschlaggebend, dass es sich um das erste vom Kläger selbst erworbene Pferd handelte, zu dem er eine besonders enge Bindung aufgebaut hatte, nachdem er es sechs Monate nach der Geburt gekauft hatte. Er selbst habe auf diesem Pferd das Reiten erlernt und ist es mehrere Jahre lang geritten. Auch als dieses Pferd vor etwa 20 Jahren ein Unfall gehabt habe, habe er sämtliche dafür erforderliche Kosten aufgewandt, um das Pferd behandeln zu lassen. Dies hätte er im vorliegenden Falle auch ohne Haftungsereignis so gehandhabt. Darüber hinaus sei das Pferd am Unfalltage trotz des hohen Alters noch in einem sehr guten auch gesundheitlichen Zustand gewesen, welcher nach dem Klinikaufenthalt auch wieder erreicht worden sei. Unter all diesen Umständen durfte der Eigentümer des Pferdes die erforderlichen Kosten zur Wiederherstellung der Gesundheit des Pferdes aufwenden und bekam diese auch von der Hundebesitzerin ersetzt (bzw. deren Haftpflichtversicherung).