BGH, Urteil vom 12.09.2002, III ZR 214/01

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 18. Juli 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der klagende Verein ist Pächter des Fischereirechts an der Ilm zwischen Di. und K. Bei Di. mündet der M.bach in die Ilm. Die drei Beklagten sind Eigentümer eines an den M.bach angrenzenden Grundstücks, das von den Beklagten zu 2 und 3 für ihren landwirtschaftlichen Betrieb genutzt wird. Auf dem Grundstück befinden sich eine Halle und ein frei zugänglicher betonierter Vorplatz mit einer Frischwasserzuleitung. Über einen Gully und eine kurze Rohrleitung entwässert diese Fläche in den M.bach.
Am 5. Juni 1998 kam es in dem vom Kläger angepachteten Flußabschnitt zu einem ausgedehnten Fischsterben. Der Kläger hat dies auf die Einleitung größerer Mengen von Pflanzenschutzmitteln, insbesondere DDT und Endosulfan, zurückgeführt und als Ausgangspunkt das Entwässerungsrohr der Beklagten bezeichnet. Er hat vorgetragen, der Vorplatz habe den Beklagten und Dritten zur Befüllung von Tankwagen sowie zur Reinigung landwirtschaftlicher Geräte gedient. Bei einer dieser Gelegenheiten seien die Pestizide in den M.bach gelangt.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Beklagten gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Höhe von 72.321,78 DM sowie auf Feststellung ihrer Ersatzpflicht für alle weiteren Schäden in Anspruch genommen. Die Beklagten haben sich unter anderem damit verteidigt, die festgestellten hohen Konzentrationen von Endosulfan ließen sich nur durch eine vorsätzliche Beseitigung größerer Mengen von Pflanzenschutzmitteln seitens Dritter erklären. Landgericht und Oberlandesgericht haben den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Mit ihrer Revision begehren die Beklagten weiterhin Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.
Die von Amts wegen zu prüfende Frage, ob die Vorinstanzen insgesamt ein Grundurteil gemäß § 304 ZPO erlassen durften, ist zu verneinen. Ein Grundurteil über einen unbezifferten Feststellungsantrag scheidet in aller Regel aus (BGH, Urteil vom 12. Juli 2002 – V ZR 441/00, Umdruck S. 4 f., zur Veröffentlichung bestimmt). Ausnahmsweise kann ein Grundurteil über eine Feststellungsklage ergehen, wenn damit ein bestimmter Betrag in der Weise geltend gemacht wird, daß die Klage auch zu einem Ausspruch über die Höhe des Anspruchs führen soll (vgl. etwa BGH, Urteil vom 19. Juli 2001 – IX ZR 246/00 – NJW 2001, 3477, 3479 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Es kommt deswegen lediglich in Betracht, das vom Berufungsgericht bestätigte „Grundurteil“ des Landgerichts hinsichtlich der Feststellungsklage als Teilendurteil (Feststellungsurteil) oder allein die Entscheidung über den bezifferten Zahlungsanspruch aufrechtzuerhalten. Welcher Weg prozessual gangbar wäre, mag dahinstehen. Denn das Berufungsurteil kann insgesamt auch aus materiellrechtlichen Gründen nicht bestehenbleiben.

II.
1. Das Berufungsgericht (OLG Jena OLG-Report 2001, 543) hält die Beklagten verschuldensunabhängig als Inhaber einer wassergefährdenden Anlage gemäß § 22 Abs. 2 WHG für einstandspflichtig. Es führt dazu aus:
Bei dem der Entwässerung des betonierten Vorplatzes dienenden Rohr handele es sich um eine Anlage, die dazu bestimmt sei, wassergefährdende Stoffe in ein Gewässer zu leiten. Aufgrund der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, daß der Platz von den Beklagten zur Reinigung landwirtschaftlicher Geräte genutzt worden sei. Somit habe die Rohrleitung auch dazu gedient, beim Waschen anfallende Rückstände von Öl und Pflanzenschutzmitteln wegzuleiten. Daß es sich dabei um andere Stoffe als das hier schadensursächliche Endosulfan gehandelt habe, sei ohne Belang. Ebenso sei erwiesen, daß das giftige Endosulfan über die Rohrleitung der Beklagten in den M.bach und von da in die Ilm gelangt sei. Inhaber der Anlage seien alle Beklagten als Miteigentümer des Grundstücks, auch wenn der Beklagte zu 1 bereits vor dem Schadenszeitpunkt aus der den landwirtschaftlichen Betrieb führenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgeschieden sei. Auf höhere Gewalt wegen eines vorsätzlichen Eingriffs Dritter könnten sich die Beklagten nicht berufen. Sie hätten nämlich den Waschplatz einschließlich seiner Entwässerungsanlage ungesichert gelassen und dadurch einem möglichen schadenstiftenden Verhalten Dritter den Boden bereitet.

2. Mit diesen Erwägungen überdehnt das Berufungsgericht auf der Grundlage des für das Revisionsverfahren als richtig zu unterstellenden Sachverhalts die Anlagenhaftung nach § 22 Abs. 2 WHG.
a) Bei dem der Entwässerung des Hallenvorplatzes dienenden Kanaleinlauf und der sich anschließenden, in den M.bach mündenden Rohrleitung handelt es sich zwar um eine der Wegleitung von Stoffen dienende Anlage. Es sind jedoch im Falle des von den Beklagten behaupteten Mißbrauchs nicht „derartige“ Stoffe in das Gewässer gelangt.
b) Diese weitere Voraussetzung wäre, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, mindestens dann zu verneinen, wenn die Verrohrung lediglich der Ableitung von Regenwasser und außerdem des bei der Füllung von Tankwagen abfließenden unkontaminierten Frischwassers gedient hätte. Zu Recht hat sich das Berufungsgericht für diese Auslegung auf das Urteil des erkennenden Senats vom 3. Juli 1975 (III ZR 61/73 – VersR 1976, 43, 44) bezogen, in dem es um den Mißbrauch einer gemeindlichen Regenwasserkanalisation zur Beseitigung häuslicher Abwässer ging. In einer solchen Fallgestaltung ist die Anlage nicht dazu bestimmt, das in sie eingeleitete Abwasser und die darin enthaltenen Schadstoffe wegzuleiten. Allein die Möglichkeit eines Mißbrauchs vermag eine Haftung des Anlagenbetreibers nach § 22 Abs. 2 WHG nicht zu begründen.

c) Anders wäre die Rechtslage zu beurteilen, wenn die Beklagten zu 1 und 2 den Vorplatz außerdem als Waschgelegenheit für Traktoren und Geräte genutzt hätten und der Schadensfall bei einer derartigen bestimmungsgemäßen Verwendung eingetreten wäre. Eine dahingehende Nutzung stellt das Berufungsgericht unter Würdigung der erstinstanzlichen Beweisaufnahme tatrichterlich fest; die Revision erhebt hiergegen Verfahrensrügen. Ob diese berechtigt wären, kann offenbleiben. Die Revision dringt nämlich jedenfalls mit ihrem weiteren Einwand durch, es liege selbst dann ein – vom Berufungsgericht nicht ausgeschlossener – Fall eklatanten Mißbrauchs der Anlage durch Dritte vor, der den Beklagten nicht zuzurechnen sei.

aa) Die Haftung nach § 22 Abs. 2 WHG stellt einen Fall der Gefährdungshaftung für die besonderen Gefahren der Gewässerverunreinigung dar, die das Betreiben der beschriebenen Anlagen typischerweise mit sich bringt (Senatsurteil BGHZ 76, 35, 42; Breuer, Öffentliches und privates Wasserrecht, 2. Aufl., Rn. 815). Diese Begründung und ihre inhaltliche Begrenzung auf typische Gefahrenlagen beschränkt zugleich die Haftung des Betreibers normativ; denn nur aus der Schaffung einer solchen typischen Gefahrenlage rechtfertigt sich die Haftung des Anlageninhabers (Senatsurteil vom 2. Dezember 1982 – III ZR 121/81 – NJW 1983, 2029, 2030; Czychowski, WHG, 7. Aufl., § 22 Rn. 4). Eine spezifische Gefährdung dieser Art hat der Senat auch in einem Fall verneint, in dem in einer Halle Kunststoffteile lagerten und erst durch deren Verbrennung wasserbeeinträchtigende Stoffe entstanden waren (Urteil vom 2. Dezember 1982 aaO).

bb) Im Streitfall geht es auf dem Boden der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts um das Gefahrenpotential, das aus der Einleitung von Abwässern eines landwirtschaftlichen Waschplatzes in oberirdische Gewässer typischerweise erwächst. Hätte sich diese Gefahr hier verwirklicht, wären – von den genannten Verfahrensrügen der Revision abgesehen – Bedenken gegen eine Haftung der Anlageninhaber nicht zu erheben. Die Beklagten haben indessen unter Beweisantritt behauptet, nach der im Ermittlungsverfahren erfolgten fachtechnischen Stellungnahme des Staatlichen Umweltamts E. vom 3. August 1998 sei mindestens eine Menge von 1,7 bis 4,9 kg reines Endosulfan in die Ilm gelangt. Diese hohe Konzentration könne weder durch das Reinigen von Geräten noch durch sonstiges Hantieren in die Rohrleitung gelangt sein, sondern sei allein dadurch zu erklären, daß sich jemand vorsätzlich der Pestizide habe entledigen wollen. Legt man dies, wie revisionsrechtlich geboten, als richtig zugrunde, handelt es sich nicht mehr um die derartigen Waschvorgängen innewohnende Gefährdung. Bei diesen geht es um abgeschwemmte Rückstände von Öl und Pflanzenschutzmitteln, allenfalls noch nach dem Vortrag des Klägers um kleinere Mengen unverdünnter Schadstoffe wie beim Umkippen eines Kanisters, falls die Beklagten – was das Berufungsgericht allerdings nicht feststellt – den Vorplatz auch zur Befüllung ihrer Spritzfahrzeuge mit Pflanzenschutzmitteln benutzt haben sollten. Mit dieser zwar nicht zu vernachlässigenden, aber dennoch verhältnismäßig geringen Gewässergefährdung ist das vorsätzliche Einleiten großer Mengen unverdünnter Pflanzenschutzmittel weder quantitativ noch qualitativ vergleichbar. Diese Form rechtswidriger Abfallbeseitigung bedeutet vielmehr einen Mißbrauch der Waschanlage, der, ähnlich wie in dem vom Senat bereits entschiedenen Fall eines gemeindlichen Regenwasserkanals (Senatsurteil vom 3. Juli 1975 aaO), außerhalb ihrer Zweckbestimmung steht und nur eine lose und eher zufällige Verknüpfung mit der Anlage aufweist. Demnach hat sich, wie der Revision zuzugeben ist, vorliegend nicht das mit dem Betrieb eines Waschplatzes verbundene spezifische Risiko verwirklicht, sondern ein allgemeines Lebensrisiko, nicht anders, als wenn der bislang nicht festgestellte Täter die Giftstoffe unmittelbar in den Bach oder die Ilm geschüttet hätte. Dieses Risiko ist auch unter Berücksichtigung des mit dem Wasserhaushaltsgesetz verfolgten umfassenden Gewässerschutzes nicht Teil des vom Inhaber der Anlage übernommenen Wagnisses. Auf die vom Berufungsgericht erörterte – nachrangige – Frage, ob andernfalls dessen Haftung wegen höherer Gewalt ausgeschlossen wäre, kommt es nicht an. Mit der gegebenen Begründung kann das angefochtene Urteil daher nicht bestehenbleiben.

III.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 563 ZPO a.F.). Ohne Rechtsfehler hat das Berufungsgericht eine Verhaltenshaftung der Beklagten gemäß § 22 Abs. 1 WHG abgelehnt. Auf andere Rechtsgrundlagen läßt sich die Klage ebensowenig stützen.

1. Die Beklagten sind nicht ohne weiteres im Sinne des § 22 Abs. 1 WHG Einleiter sämtlicher über ihre Rohrleitung in den M.bach gelangender Flüssigkeiten. Einleiten setzt ein auf die Gewässerbenutzung zweckgerichtetes Verhalten voraus. Ein haftungsbegründendes Handeln im Sinne der Vorschrift liegt erst bei einem Tun oder Unterlassen vor, das nach seiner objektiven Eignung darauf abzielt, daß Stoffe in ein Gewässer gelangen, wobei ein funktioneller Zusammenhang mit einer Gewässerbenutzung vorliegen muß (Senatsurteil BGHZ 124, 394, 396). Derartiges hat der Senat zwar für die Abwasserkanalisation einer Gemeinde angenommen und ihr insoweit zugleich das Risiko eines Mißbrauchs ihres Kanalsystems zugewiesen (vgl. BGHZ 55, 180, 183 ff.; 57, 170, 174 f.; 62, 351, 355 ff.; Urteil vom 20. November 1975 – III ZR 38/73 – NJW 1976, 804 f.; s. auch BGHZ 103, 129, 134 f.; Czychowski, § 22 Rn. 11). Das beruht aber auf der Erwägung, daß die Gemeinden fremdes Abwasser sammeln, durch die Konzentration dessen Gefahren vergrößern und es schließlich als Ganzes bewußt in ein oberirdisches Gewässer leiten (BGHZ 55, 180, 184; 62, 351, 355). Schon für die verrohrte Straßenentwässerung einer Bundesautobahn, durch die nach einem Verkehrsunfall Heizöl in das Grundwasser gelangt war, hat der Senat im Gegensatz zu dem damals angefochtenen Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart (ZfW 1980, 318) eine Haftung des Bundes nach § 22 Abs. 1 WHG nur unterstellt (Beschluß vom 19. September 1979 – III ZR 121/78 – VersR 1980, 48; s. ferner BGHZ 124, 394, 399). Im Streitfall fehlt es – ausgehend von dem oben angenommenen Mißbrauch – an dem in jedem Fall notwendigen funktionellen Zusammenhang zwischen der Zweckbestimmung der Anlage und der tatsächlich erfolgten Schadstoffeinleitung. Für die Beklagten haftungsbegründend könnte darum allenfalls eine konkrete Beteiligung an dem zweckfremden Eingriff sein.

2. Nach der Überzeugung des Berufungsgerichts ist der Nachweis eines eigenen wassergefährdenden Verhaltens der Beklagten nicht geführt und auf der Grundlage des Klagevortrags auch nicht zu führen. Das zieht auch die Revisionserwiderung nicht in Zweifel. Sie macht jedoch geltend, die Beklagten hätten ihnen mögliche und zumutbare Vorkehrungen gegen Eingriffe Außenstehender unterlassen und dadurch die Einleitung von Pflanzenschutzmitteln durch Dritte in einer eigenem positiven Tun gleichstehenden Weise geduldet.

Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Richtig ist, daß der Tatbestand des Einleitens auch durch Unterlassen verwirklicht werden kann (Senatsurteile BGHZ 65, 221, 223 ff.; 124, 394, 396; Urteil vom 17. Oktober 1985 – III ZR 99/84 – NJW 1986, 2312, 2314; Czychowski, § 22 Rn. 8). Das setzt zunächst eine Rechtspflicht zum Handeln voraus, die unter anderem aus der Verantwortung für Gefahrenquellen und somit aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB folgen kann (BGHZ 65, 221, 224 f.; Senatsurteil vom 17. Oktober 1985 aaO; Staudinger/Kohler, BGB, Neubearbeitung 2002, § 22 WHG Rn. 38 f.). Bereits hierfür fehlt es im Streitfall an einer Grundlage. Das Berufungsgericht hat keinerlei Feststellungen dahin getroffen – und die Parteien haben insoweit auch nichts Konkretes vorgetragen -, daß sich den Beklagten vor dem Schadensfall das Risiko eines derartigen Mißbrauchs ihrer Waschanlage hätte aufdrängen müssen. Unter diesen Umständen waren die Beklagten jedenfalls seinerzeit nicht gehalten, entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Damit scheidet zugleich eine Ersatzpflicht der Kläger auf der Grundlage von § 823 BGB aus. Die Anlagenhaftung nach § 2 Abs. 1 HPflG schließlich erfaßt ihrer Zweckbestimmung zufolge nicht den Fall, daß der Schaden aus der Beschaffenheit der in der Anlage transportierten Flüssigkeit entsteht (Senatsurteil vom 17. Oktober 1985 – III ZR 99/84 – NJW 1986, 2312, 2314 f.; Filthaut, HPflG, 5. Aufl., § 2 Rn. 25).

IV.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, die fehlenden Feststellungen über das Ausmaß der eingeleiteten Pflanzenschutzmittel nachzuholen. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht weiter zu prüfen haben, inwieweit seine Feststellungen zur Nutzung des Vorplatzes mit Rücksicht auf die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen aufrechterhalten werden können.