Pferderecht Alttag

Gefangen in der Bahnschranke

Tierhalter- und Tierhüterhaftung kommen nur dann in Betracht, wenn sich auch
die typische Gefährlichkeit tierischen Verhaltens in einer Situation
schadensverursachend verwirklicht hat. Die Realisierung der typischen
Tiergefahr entfällt, wenn sich das Pferd anweisungsgemäß verhält (OLG
München, 29.04.2020, 10 U 5304/19).
Eine Reiterin wollte mit Ihrem Pferd „Apache“ gemeinsam mit einer anderen Reiterin
einen offenen Bahnübergang überqueren. Noch bevor beide den Bahnübergang
vollständig durchquert hatten, senkten sich die Schranken und das an der Schranke
befindliche Gitter verfing sich im Sattel der Reiterin, woraufhin die Schranke wieder
nach oben gehen wollte. Das Pferd war jedoch stärker und die Schranke brach
entzwei. Der Zug fuhr durch, Reiterin und Pferd blieben zum Glück unverletzt. Der
einzige aus der Situation entstandene Schaden bestand demnach in der kaputten
Bahnschranke und den wollte die Deutsche Bahn Netz AG nun auch von Reiterin
und Tierhalterin ersetzt haben. Die Schranke kostete rund 9000,00 Euro auf die
geklagt wurde.
In erster Instanz bekam die DB Netz AG den Schaden zugesprochen, in zweiter
Instanz wurde das Urteil aufgehoben und die Klage zugunsten von Reiterin und
Tierhalterin abgewiesen. Rechtlicher Dreh- und Angelpunkt, der von den beiden
Gerichten unterschiedlich beurteilt wurde, war die Tierhalter- und Tierhüterhaftung,
§§ 833,834 BGB, die Verwirklichung der typischen Tiergefahr und das Verschulden
der Reiterin sowie die Beweislastverteilung.
Grundsätzlich haftet jeder Tierhalter gemäß § 833 BGB verschuldensunabhängig für
jeglichen Schaden, der durch sein Tier verursacht wird. Gleich dem Tierhalter haftet
auch der Tierhüter gemäß § 834 BGB für jeden solchen Schaden, es sei denn dieser
kann beweisen, dass ihn kein Verschulden an dem Vorfall trifft, d.h. dass er die
„allgemein im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat“. Tierhüter ist derjenige, der
durch Vertrag oder tatsächlich die Aufsicht über das Tier übernommen hat – in
diesem Falle also die Reiterin, die auf dem Pferd saß. Da das Landgericht München
auch durch Vernehmung der beiden Reiterinnen und sonstige Informationen bis
zuletzt nicht umfassend aufklären konnte, wie sich der Vorfall zugetragen und es
letztlich zu dem Schaden an der Schranke gekommen war, ließ es diese Unklarheit
zulasten der Beklagten gehen. Diese hätte beweisen müssen, dass sie die
Bahngleise zügig genug überquert hat, dass sie keine Zeit mehr gehabt hätte
umzudrehen, als sich die Schranken anfingen zu senken, warum sie die akustischen
und optischen Warnsignale nicht rechtzeitig wahrgenommen hatte. Deswegen wurde
der Klage der DB Netz AG stattgegeben.
Das Oberlandesgericht München hob das Urteil jedoch wieder auf und wies die
Klage ab, da es schon in der unstreitigen Verwirklichung des Sachverhalts die
Voraussetzungen der Verwirklichung der typischen Tiergefahr durch das Pferd gar
nicht als gegeben ansah. Das Gitter der Schranke war schließlich an dem Sattel des
Pferdes hängen geblieben und die Schranke brach entzwei, als sie selbst darauf hin
wieder hochgehen wollte, sodass die typische Gefährlichkeit tierischen Verhaltens
mit dem Bruch der Schranke überhaupt nicht in kausalen Zusammenhang zu bringen
war. Auch gehorchte das Tier in der brenzligen Situation vollständig der Führung
durch seine Reiterin und blieb einfach stehen. Das Pferd selbst, welches unter
menschlicher Leitung stand, hat mit seinem Verhalten somit überhaupt nicht den
Schaden verursacht weshalb weder die Tierhalter- noch die Tierhüterhaftung für den
vorliegenden Sachverhalt in Betracht kam. Die Behauptung der DB Netz AG, die
Schranke sei abgebrochen waren durch ein Scheuen bzw. eine Flucht- oder
Schreckbewegung des Pferdes, war eine rein ins Blaue hinein vorgetragene
Vermutung, die durch die Aussagen der beiden Reiterinnen nicht bewiesen werden
konnte. Diese sagten aus, dass die Schranke brach, als sie wieder in die Höhe ging
und auf dem Rücken des Tieres liegen blieb, die Reiterin abstieg und das Pferd aus
dem Bahn Übergangsbereich herausführte. Damit wurde der Schaden an der
Schranke nicht durch ein unberechenbares und selbstständiges Verhalten des Tieres
herbeigeführt, da das Pferd nichts Anderes tat, als den Anweisungen seiner Reiterin
zu folgen.