Mit gefangen – mit gehangen


Juli 2013. Werden Besitzer von Weidepferden bei Verletzungen zukünftig „in Sippenhaft“ genommen? Welcher Tierhalter haftet, wenn ein Pferd in einer Herde von Pferden verschiedener Tierhalter verletzt wird und niemand den Vorfall beobachtet hat? Ein Urteil des OLG München vom 19. April 2012 weist in eine neue Richtung für die gemeinsame Haftung mehrerer Tierhalter, deren Tiere zusammen auf einer Weide stehen.

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ging es um eine Schafherde, bestehend aus drei schwarzen und fünf weißen Schafen, die zwei verschiedenen Haltern gehörten. Nun brach ein schwarzes Schaf aus dem Pferch aus und verletzte eine Person, die jedoch naturgemäß später nicht mehr sagen konnte, welches der drei schwarzen Schafe dies nun gewesen sei. In der Tat gehörten zwei der schwarzen Schafe dem einen und ein schwarzes Schaf dem anderen Halter, so dass nun die Frage zu klären war, welcher Tierhalter für den Personenschaden haften musste.

Im Bürgerlichen Gesetzbuch ist geregelt, dass, wenn mehrere Täter gemeinschaftlich einen Schaden durch eine unerlaubte Handlung verursacht haben, jeder der Beteiligten für den Schaden verantwortlich ist. Das Gleiche gilt, wenn sich nicht mehr ermitteln lässt, welcher von mehreren Beteiligten den Schaden verursacht hat (§ 830 BGB). Nun steht diese Vorschrift jedoch eigentlich im Zusammenhang mit unerlaubten Handlungen und nicht mit Gefährdungstatbeständen wie der Tierhalterhaftung, der Betriebsgefahr beim Fahrzeug oder der Haftung von Gebäudebesitzern.

Diesbezüglich hat jedoch der Bundesgerichtshof bereits eindeutig entschieden, dass hier kein Unterschied gemacht werden dürfe, denn die Vorschrift sei dazu da, den Beweisnotstand des Geschädigten zu überwinden. Es sei gerechter, alle haften zu lassen, die sich an einer gemeinsamen Gefährdung beteiligt haben, als den Geschädigten wegen Beweisschwierigkeiten leer ausgehen zu lassen (BGH, 15. Dezember 1970, VI ZR 121/69).
Auch im Falle der Haftung des Fahrzeughalters, des Gebäude- oder Grundstückbesitzers wird diese Regelung also entsprechend angewandt, obgleich hier lediglich verschuldensunabhängig gehaftet wird – ebenso wie bei der Haftung des Tierhalters.

Der Bundesgerichtshof entschied dies 1970 in einem spektakulären Kutschenunfall, bei dem drei Gespanne zwei verschiedener Pferdehalter durchgingen, nachdem sie von Schulkindern erschreckt worden waren und infolge acht Fahrzeuge beschädigten. Es konnte nicht mehr ermittelt werden, welches der drei Gespanne nun genau welchen Sachschaden verursacht hatte, so dass im Ergebnis hier beide Tierhalter zur Verantwortung gezogen wurden. Der Haftungstatbestand beider „Beteiligten“ wurde hier vom BGH jedoch an die tatsächlich verwirklichte Tiergefahr geknüpft, die sich in dem Verhalten aller drei Gespanne niedergeschlagen hatte.

Zurück zu den Schafen: Hier wagt sich das OLG München einen ganzen Schritt weiter. Schließlich stand der Rest der Schafherde friedlich im Gatter, während nur ein Schaf die unberechenbare Tiergefahr realisierte und ausbrach. Das Gericht setzt sich darüber hinweg und stellt in seinem Urteil für die Haftung beider Tierhalter im Wesentlichen darauf ab, dass beide durch das Halten der Schafherde in diesem Pferch grundsätzlich ihre Umgebung der Gefahr ausgesetzt haben, zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort durch ein Schaf geschädigt zu werden.

Es erscheine gerechter, jedem nachweislich Beteiligten zuzumuten, im Einzelfall den Entlastungsbeweis zur Widerlegung seiner Beteiligung zu führen, als dem unzweifelhaft Geschädigten den positiven Nachweis aufzuerlegen für die tatsächliche Verursachung seines Schadens durch ein bestimmtes Tier. Da hier alle drei schwarzen Schafe für die Schädigung in Betracht kamen, müssen laut Urteil somit beide Tierhalter für den Schaden aufkommen.

Die Entscheidung ist eindeutig ergebnisorientiert gefällt worden. So verweist das Gericht am Ende seiner Begründung noch einmal ausdrücklich auf den Satz der BGH-Entscheidung, wonach es gerechter sei, alle haften zu lassen, die sich an der gemeinsamen Gefährdung in einer ihre Haftung begründenden Weise beteiligt haben, als den Geschädigten leer ausgehen zu lassen.

Das Urteil des OLG München ist rechtskräftig geworden, obgleich es die Tür zur Revision vor dem BGH offen gelassen hatte, da die Sache grundsätzliche Bedeutung habe und die hier entscheidende Frage noch nicht höchstrichterlich entschieden worden sei.

Somit ist bis heute immer noch offen, ob bei ungeklärter Verursachung mehrere Tierhalter gleichermaßen in Anspruch genommen werden können. Das Urteil des OLG München könnte aber auch schon für sich betrachtet erhebliche Nebenwirkungen auf die gesamte Schadensregulierungspraxis insbesondere bei gegenseitigen Tierverletzungen auf der Weide entfalten. Denn die Haftung gerade bei Weideverletzungen wird oftmals mit der Begründung abgelehnt, dass der Tathergang nicht bewiesen werden könne und das Tier sich ebenso gut selbst verletzt haben oder den Angriff des anderen Pferdes provoziert haben könne.

Diese Schwierigkeiten in der Beweisführung gingen bislang immer zulasten des geschädigten Pferdehalters. Wenn aber nun nach OLG München allein schon die Gefahr, der sich Tierhalter gegenseitig aussetzen, wenn sie ihre Pferde gemeinsam auf die Weide stellen, zur Haftung führen soll, dann würde dies im Ergebnis bei vielen Weideunfällen zu einer quotenmäßigen Haftung aller beteiligten Tierhalter führen.
Einfacher ist es in der Konstellation, dass zwar nicht mehr festgestellt werden kann, welches Tier einen Schaden verursacht hat, unzweifelhaft aber eines von mehreren Tieren eines Tierhalters infrage kommt: In diesem Falle haftet der Tierhalter so oder so, gleich welches seiner Tiere nun den Schaden herbeigeführt hat (siehe: OLG Koblenz, 10. Mai 2012, 2 U 573/09).