LG Münster, Urteil vom 19.08.2022 108 O 16/22
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt nach einem Pferdekauf vom Tierarzt Einsicht in die Behandlungsunterlagen und Röntgenaufnahmen aus der Zeit vor dem Erwerb des Tieres.
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Die Klägerin ist Eigentümerin des Pferdes G (Lebensnummer DE 000 000 000 000, braun, Westfalen). Es handelt sich um ein wertvolles Dressur- Pferd der Rasse westfälisches Reitpferd. Die Klägerin erwarb das Pferd zu einem Kaufpreis i.H.v. 500.000 EUR vom Verkäufer M mit Kaufvertrag am 00.01.2021.
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Im Zeitraum von Oktober 2019 bis November 2020 befand sich das Pferd in tiermedizinischer Behandlung bei der Beklagten. Auftraggeber war der vormalige Eigentümer Herr M.
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Die Klägerin und der vormalige Eigentümer M haben in § 2 des Kaufvertrages zu den tierärztlichen Behandlungen durch die Beklagte folgendes geregelt:
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„Die während der Besitzzeit des Verkäufers für die veterinärmedizinische und chiropraktische Untersuchung und Behandlung des Pferdes in Anspruch genommenen Tierärzte H und P sind vor Vertragsunterzeichnung durch den Verkäufer gegenüber der Käuferin von der tierärztlichen Schweigepflicht entbunden. Der Verkäufer hat veranlasst, dass dem Käufer zu Händen des ihn vertretenden Rechtsanwaltes Q die Dokumentation der genannten Personen vor Vertragsunterzeichnung zur Verfügung gestellt werden.“
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Tatsächlich ist der Klägerin nur eine Behandlungsübersicht zur Verfügung gestellt worden. Hierin sind die Daten der Behandlung und schlagwortartig das Behandlungsgeschehen zusammengefasst. Einzelheiten zur konkreten Behandlung sind jedoch nicht ausgeführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anl. K6 Bezug genommen.
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Bevor die Behandlungsunterlagen von der Beklagten an die Klägerin herausgegeben wurden, widerrief Herr M (Verkäufer des Pferdes und Auftraggeber der tierärztlichen Behandlung durch die Beklagte) die Einwilligung in die Weitergabe der Informationen und Behandlungsunterlagen aus der tiermedizinischen Behandlung durch die Beklagte.
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Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Einsichtnahme in die gefertigten Röntgenaufnahmen des Tieres aus § 809 BGB sowie auf Einsichtnahme in die tierärztlichen Behandlungsunterlagen nach § 810 BGB zu. Zugleich sei die Beklagte verpflichtet, der Klägerin Ablichtungen der Krankenunterlagen herauszugeben. Es bestehe ein berechtigtes Interesse für die Einsichtnahme, da das Pferd dringend tierärztlicher Behandlung bedürfe und abgeklärt werden müsse, welche Behandlungen zuvor durchgeführt worden sein. Beim Reiten zeige das Pferd massive Widersetzlichkeiten, sodass an eine geordnete Arbeit mit dem Pferd nicht zu denken sei. Das Pferd sei ohne fortdauernde medikamentöse Behandlung nicht reitbar, schon gar nicht sportlich einsetzbar. Die Klägerin sei darauf angewiesen, dass sie nicht nur stichpunktartig über die Behandlung informiert werde, sondern die zukünftige Behandlung und Therapie unter Berücksichtigung der vormaligen Erkrankungen und Behandlungen zum Tierwohl abstimme.
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Die Klägerin ist weiter der Auffassung, dass die von der Beklagten eingewandte ärztliche Schweigepflicht dem Einsichtsbegehren nicht entgegenstehe. Die tierärztliche Schweigepflicht der Beklagten beruhe auf § 5 der Berufsordnung der Tierärztekammer Westfalen-Lippe. Diese sehe vor, dass der Tierarzt über alle Tatsachen Schweigen zu bewahren habe, die ihm bei der Ausübung seines Berufes bekannt werden, soweit berechtigte Belange dies erfordern. Die Schweigepflicht beziehe sich nur auf solche Tatsachen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der tierärztlichen Tätigkeit stünden. Es handele sich um ein Schweigegebot, welches berechtigte Belange schütze. Welche berechtigten Belange geschützt würden, sei nicht definiert. Die Bewertung habe anhand der Regelung des § 203 StGB zu erfolgen. Diese Regelung schütze nur die unbefugte Offenbarung von fremden Geheimnissen, die insbesondere zum persönlichen Lebensbereich des Menschen geraten. Die Informationen über die Erkrankung und Behandlung des Tieres selbst stellten aber kein geschütztes Geheimnis dar.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, ihr die bei der Beklagten geführten tierärztlichen Behandlungsunterlagen und Röntgenaufnahmen betreffend das Pferd G mit der Lebens Nummer: DE 000 000 000 000, braun, Westfalen gegen Erstattung der Entwicklung-und Fotokopiekosten in Kopie zur Verfügung zu stellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, der Klägerin stünde der geltend gemachte Anspruch auf Einsicht in die bei ihr geführten tierärztlichen Behandlungsunterlagen und Röntgenaufnahmen betreffend das Pferd nicht zu, weil die Klägerin nicht Auftraggeberin der betreffenden tierärztlichen Behandlung gewesen sei. Aufgrund der tierärztlichen Schweigepflicht sei sie verpflichtet, vor Herausgabe der Unterlagen bei dem Auftraggeber der tierärztlichen Behandlung – Herrn M – nach dessen Zustimmung zur Herausgabe der Unterlagen zu fragen, was dieser jedoch abgelehnt habe. Da die erforderliche Zustimmung des Auftraggebers für die ärztliche Behandlung nicht vorlägen, würden sich die bei der Beklagten tätigen Tierärzte gemäß § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar machen, wenn sie unbefugt ein ihnen anvertrautes oder sonst im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit bekannt gewordenes fremdes Geheimnis offenbaren. Ferner sei ein berechtigtes Interesse für die Einsichtnahme nicht ersichtlich, da die Einsichtnahme in die Unterlagen aus Tierschutzgründen nicht erforderlich sei, um die zukünftige Behandlung hierauf aufzubauen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
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Der geltend gemachte Anspruch auf Einsichtnahme in die tierärztlichen Behandlungsunterlagen und Röntgenaufnahmen steht der Klägerin nicht zu.
1.
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Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch nach § 809 BGB besteht nicht.
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Voraussetzung dieses Besichtigungsanspruches ist, dass der Klägerin gegen den Besitzer ein Anspruch in Ansehung der Sache zusteht oder sie sich Gewissheit verschaffen möchte, ob ihr gegen den Besitzer ein Anspruch in Ansehung der Sache zusteht. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Anspruchs besteht; andererseits genügt die nur entfernte Möglichkeit einer Rechtsverletzung nicht (BGH, Urteil vom 02.05.2002 – I ZR 45/01).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze besteht ein gewisser Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch hinsichtlich des Pferdes zusteht, nicht. Selbst wenn man zugunsten der Klägerin einen Fehler bei der tierärztlichen Behandlung des Pferdes durch die Beklagte unterstellt, würden etwaige Ansprüche in Ansehung dieser Fehlbehandlung nicht der Klägerin, sondern Herrn M zustehen. Denn dieser war als Auftraggeber der tierärztlichen Behandlung Vertragspartner der Beklagten, sodass er Gläubiger vertraglicher Ansprüche wäre, sowie Eigentümer des Pferdes zum Zeitpunkt der Behandlung, sodass ihm etwaige deliktische Schadensersatzansprüche zustehen würden.
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Der Umstand, dass der Klägerin möglicherweise kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche gegen Herrn M zustehen, genügt für einen Anspruch aus § 809 BGB gegen die Beklagte nicht, da sich der Anspruch gegen den Besitzer der Sache – Besitzer der Röntgenunterlagen ist hier die Beklagte und nicht Herr M- richten muss (Sprau, in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 809 BGB, Rn 4).
2.
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Auch der weiter von der Klägerin geltend gemachte Anspruch gemäß § 810 BGB besteht nicht.
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Die Einsichtnahme nach § 810 BGB kommt zunächst in Betracht, wenn die Urkunde im Interesse der Klägerin errichtet worden ist (Alt. 1). Dies ist der Fall, wenn sie zumindest auch dazu bestimmt ist, dem Anspruchsteller als Beweismittel zu dienen oder wenigstens seine rechtlichen Beziehungen zu fördern (BGH, Urteil vom 31.03.1971 – VIII ZR 198/69). Dies beurteilt sich ausschließlich nach dem Zweck der Urkunde im Zeitpunkt ihrer Errichtung, nicht nach ihrem Inhalt (Sprau in: Grüneberg, BGB, 81 Aufl. 2022, § 810 BGB, Rn. 3; Martinek/Heine in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 810 BGB, Rn. 12); Marburger, in: Staudinger, BGB, 2015, § 810 BGB, Rn. 13).
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Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da zum Zeitpunkt der Anfertigung der Behandlungsunterlagen, die Interessen der Klägerin nicht berührt waren. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an den Behandlungsunterlagen bestand erst zum Zeitpunkt des Erwerbs des Pferdes im Januar 2021. Zu diesem Zeitpunkt war die tierärztliche Behandlung, die sich von Oktober 2019 bis November 2020 erstreckte, aber bereits abgeschlossen. Anhaltspunkte dafür, dass die tierärztlichen Behandlungen zur Vorbereitung des Verkaufs des Pferdes an die Klägerin erfolgten, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
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Auch ein Einsichtsrechts nach der 2. oder 3. Alt. des § 810 BGB ist nicht gegeben, da in den tierärztlichen Behandlungsunterlagen weder ein zwischen der Klägerin und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist, noch sich aus den Behandlungsunterlagen Angaben über Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft ergeben, die zwischen der Klägerin und einem anderen oder einem von beiden und einem gemeinschaftlichen Vermittler geführt worden sind.
3.
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Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der Klägerin angeführten Entscheidung des OLG Köln vom 11.11.2009 (Az. 5 U 77/09). Zwar hat das OLG Köln in dieser Entscheidung ein Einsichtsrecht in veterinärmedizinische Unterlagen aus §§ 809, 810 BGB angenommen. Der Entscheidung lag jedoch eine mit dem vorliegenden Streitfall nicht zu vergleichende Sachverhaltskonstellation zugrunde. Denn in der Entscheidung des OLG Köln wurde das Einsichtsrecht vom Auftraggeber der tierärztlichen Untersuchung geltend gemacht. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn Auftraggeber der tierärztlichen Behandlung durch die Beklagte war Herr M und nicht die Klägerin.
4.
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Die Einsichtnahmeansprüche des Herrn M sind auch nicht im Rahmen des Erwerbs des Pferdes auf die Klägerin übergegangen.
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Zum einen kann die kaufvertragliche Regelung zwischen der Klägerin und Herrn M in § 2 des Kaufvertrages hinsichtlich der tierärztlichen Dokumentation nicht als Abtretungsvereinbarung ausgelegt werden. Die Formulierung „der Verkäufer hat veranlasst, dass dem Käufer (…) die Dokumentation der genannten Personen vor Vertragsunterzeichnung zur Verfügung gestellt werden“, spricht eindeutig dafür, dass die Einsichtnahmeansprüche des Verkäufers nicht auf die Käuferin übergehen sollten, sondern der Verkäufer seine Einsichtnahmeansprüche gegen die Tierärzte geltend gemacht hat, um eine Herausgabe nicht an sich, sondern zu Händen der Klägerin zu erwirken.
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Zum anderen ist ein gesetzlicher Forderungsübergang für Auskunftsansprüche infolge des Erwerbs des Pferdes nicht vorgesehen.
5.
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Schließlich steht der Klägerin auch ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB nicht zu. Hierfür fehlt es an einem schutzwürdigen Interesse der Klägerin. Denn die Klägerin kann aus dem Kaufvertrag über das Pferd einen Auskunftsanspruch gegen ihren Vertragspartner, den Verkäufer M, herleiten und Herausgabe der beim Verkäufer vorhandenen Unterlagen sowie entsprechend § 2 des Kaufvertrages Veranlassung der Zurverfügungstellung der tierärztlichen Unterlagen zu Händen der Klägerin verlangen.
II.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 S. 1, § 709 S. 1, S. 2 ZPO