Nicht genügend aufgeklärt
Ein Tierarzt haftet einer Pferdebesitzerin auf 250.000,00 Euro Schadensersatz, nachdem das Pferd an einem anaphylaktischen Schock gestorben war (OLG München, Urteil vom 09. Januar 2020, 1 U 3011/19). Die tierärztliche Aufklärungspflicht bezieht sich sowohl auf mögliche Behandlungsmethoden, deren Risiken und Erfolgsaussichten sowie Behandlungsalternativen. Dabei sind sowohl materielle Interessen des Pferdeeigentümers zu berücksichtigen als auch Ideelle.
Das später verstorbene Pferd litt an einem Atemwegsinfekt ohne Fieber und die Eigentümerin wünschte zunächst eine schonendere Behandlungsmethode gegenüber der Schulmedizin, so dass es zu der Wahl der Verabreichung von homöopathischen Medikamenten kam, die der Chronifizierung und Verschlechterung des Atemwegsinfektes entgegenwirken und das Immunsystem des Pferdes grundsätzlich stärken sollten. Der behandelnde Tierarzt verwendete sodann fünf verschiedene Präparate mit zum Teil überlappender Einzelwirkung – was laut gerichtlich bestelltem Sachverständigen wohl weder allgemein üblich noch medizinisch indiziert gewesen sei, aber auch noch keinen Behandlungsfehler darstellte, da das Risiko allergener Wirkung nicht erheblich über der Einzelanwendung der Präparate gelegen habe.
Kritischer und ohne nachvollziehbaren Grund sei hingegen die intravenöse Injektion des Belladonna Logoplex zu bewerten, was zwar vom Hersteller noch zugelassen, aber die risikoreichere Variante der Verabreichung gewesen sei. Auch die intramuskuläre Injektion des Medikamentes Zeel sei nicht die vom Hersteller vorgesehene Verabreichungsform mit dem geringsten Risiko gewesen. Dieses hätte subkutan injiziert werden sollen. Beide Substanzen waren zudem überdosiert gewesen. Unklar blieb, ob auch noch die Temperatur des Cocktails eine Rolle spielte und ob der Trainings- und Fütterungszustand des Pferdes ausreichend berücksichtigt worden war. Fehlerhaft sei es jedenfalls auch gewesen, dass der Tierarzt weniger als fünf Minuten nach der Behandlung bei dem Pferd verblieben sei.
Bei all diesen Verstößen gegen die tierärztliche Sorgfaltspflicht war jedoch nicht nachweisbar, dass sie ursächlich für den anaphylaktischen Schock des Pferdes gewesen seien und ob der Tod des Pferdes durch Verabreichung eines Gegenmittels noch hätte verhindert werden können.
Ausschlaggebend für die dennoch erfolgte Verurteilung des Tierarztes war aber, dass er gegen die tierärztliche Aufklärungspflicht verstoßen hatte und zwar in zweierlei Hinsicht. Zunächst habe er die Pferdeeigentümerin nicht auf die Möglichkeit des Zuwartens verwiesen und unzutreffend die eingeschlagene Behandlung als notwendig dargestellt, um eine Chronifizierung des Atemwegsinfektes zu verhindern. Für eine solche Dringlichkeit habe es tatsächlich aber keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Wenn eine beginnende chronische Bronchitis tatsächlich vorgelegen hätte, seien die eingesetzten Mittel ohnehin von ihrer Wirkung her ungeeignet zur Behandlung des Pferdes gewesen. Ferner habe er die Eigentümerin nicht über das eingetretene Risiko aufgeklärt, obgleich ihm sowohl der hohe materielle Wert des Pferdes als auch das besondere Affektionsinteresse der Besitzerin vollends bewusst war. Die Auftraggeberin, die der Behandlung auf homöopathischem Wege ja extra deswegen zugestimmt hatte, weil sie sich davon eine im Gegensatz zur Schulmedizin zunächst schonendere und weniger invasivere Einwirkung auf das Pferd erhofft hatte, hätte dieser niemals – jedenfalls nicht sofort – zugestimmt, hätte sie um das Risiko des anaphylaktischen Schocks gewusst, auch wenn dieses als äußerst gering einzuschätzen gewesen wäre. Dennoch sei das Risiko in den Herstellernachweisen beschrieben und sei zudem im vergangenen Jahr in seiner eigenen Tierklinik einmal aufgetreten. Vor diesem Hintergrund war nicht nur der beklagte Tierarzt selbst vorgewarnt, er hätte auch die Klägerin explizit auf dieses bestehende Risiko hinweisen müssen, insbesondere bei absolut nicht bestehender tiermedizinischer Notwendigkeit der vorgenommenen Behandlung. Die Ursächlichkeit der Behandlungsfehler für den eingetretenen Tod des Pferdes konnten damit juristisch außen vor bleiben, denn die fehlende Aufklärung führt ohnehin zur Beweislastumkehr. Das heißt, dass der Schädiger beweisen muss, dass der Schaden bei rechtmäßigem Alternativverhalten nicht eingetreten wäre. Dies war dem Tierarzt nicht möglich, weshalb er der Pferdeeigentümerin den vollen Wiederbeschaffungswert des Pferdes ersetzen musste.