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Hier finden Sie eine Auswahl an interessanten Urteilen zu Haftungs- und Versicherungsfragen im Pferderecht.

Pferderecht Alttag

OLG Celle, Urteil vom 04.03.2020 20 U 38/19

Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 27.09.2019 – Geschäftszeichen 5 O 354/18 – aufgehoben.

Der Klageanspruch wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

Im Übrigen wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Wert der Berufung: bis 55.000 €

Gründe
I.

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Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung von Schmerzensgeld und Erstattung ihres materiellen Schadens nach einem Reitunfall.

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Die Parteien nahmen am 15. August 2015 an einem Reitturnier in B. und an der anschließenden Siegerehrung im Viereck auf dem Turnierplatz teil. Bei der Ehrenrunde nach der Siegerehrung des Turniers bockte das Pferd der Beklagten, warf die Beklagte ab und galoppierte daraufhin auf einen benachbarten Abreitplatz.

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Die Klägerin behauptet, sie habe ihr eigenes Pferd bei der Ehrenrunde wegen des buckelnden Pferdes der Beklagten angehalten. Das Pferd der Beklagten sei auf sie zugestürmt, habe sie beim Vorbeigaloppieren am rechten Sprunggelenk getroffen und dadurch verletzt. Durch den Unfall mit dem Pferd der Beklagten habe sie eine Fraktur am rechten Sprunggelenk, einen Bänderriss und starke Knochenödeme erlitten. Sie leide noch heute unter Schmerzen und einer eingeschränkten Beweglichkeit. Die Klägerin erachtet ein Schmerzensgeld in Höhe von 20.000 € (abzüglich bereits gezahlter 4.000 €) für angemessen, daneben macht sie als materielle Positionen einen Haushaltsführungsschaden, Fahrtkosten zu Behandlungen sowie Zuzahlungen zu Medikamenten in einer Gesamthöhe von 33.185,34 € geltend. Wegen der genauen Berechnung wird auf die Klageschrift vom 22.10.2018 Bezug genommen (Bl. 9-17 d.A.).

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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Haftung scheide bereits dem Grunde nach wegen Handelns auf eigene Gefahr aus, weil die Klägerin durch die Teilnahme an der Siegerehrung ein über die normale Tiergefahr hinausgehendes besonderes Risiko bewusst und freiwillig eingegangen sei. Die gewöhnlich mit dem Reiten verbundene Gefahr während einer Siegerehrung durch die Wettkampfstimmung, das Publikum, die Musik und das geforderte Stillstehen der Pferde stelle eine besondere Erhöhung der üblichen Tiergefahr dar. Diese gefahrerhöhenden Umstände seien der Klägerin als erfahrener Turnierreiterin auch bekannt gewesen. Die Teilnahme an der Siegerehrung mit dem eigenen Pferd sei freiwillig gewesen. Die dabei übernommene, besondere Verletzungsgefahr habe sich im konkreten Schaden verwirklicht.

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Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Das Urteil sei rechtsfehlerhaft, da das Gericht zu Unrecht einen Haftungsausschluss angenommen habe. Die Voraussetzungen für ein Handeln auf eigene Gefahr oder einen Haftungsausschluss seien nicht gegeben, auch sei ihr kein Mitverschulden anzulasten. Sie habe insbesondere bei einer Siegerehrung nicht die Tiergefahr aller anderen Pferde übernommen. Die Teilnahme an einer Siegerehrung nach einer Dressurprüfung stelle keine besonders gefährliche Situation dar, die ein gewöhnliches mit dem Reiten verbundenes Risiko übersteige und einen Haftungsausschlusses begründen könnte. Die Pferde haben in der Prüfung gerade eine besondere Gehorsamkeit gezeigt. Ein Erfahrungssatz bezüglich höherer Unfallquoten während Siegerehrungen existiere nicht. Darüber hinaus fehle es an einer bewussten und freiwilligen Gefahrübernahme der Klägerin, da die Siegerehrung entgegen der Darstellung der Beklagten nicht freiwillig sei, sondern Teil des Turniers war.

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Die Klägerin beantragt,

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das am 27. September 2019 verkündete und am 1. Oktober 2019 zugestellte Urteil des Landgerichts Lüneburg abzuändern und

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1. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. August 2015 zu zahlen,

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2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 29.185,34 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. September 2019 zu zahlen,

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3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche künftige materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese Folge des Reitunfalles vom 15. August 2015 auf dem Turnierplatz in B. sind,

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4. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.822,96 € nebst Zinsen in Höhe von Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.09.2019 zu zahlen.

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Hilfsweise,

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den Rechtsstreit an das Landgericht Lüneburg zurückzuverweisen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuverweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil als richtig. Nach den Regularien für den reiterlichen Turniersport sei die Klägerin als siebtplatzierte Teilnehmerin nicht verpflichtet gewesen, an der Siegerehrung überhaupt teilzunehmen, habe also auf eigenes Risiko gehandelt. Daneben bestreitet die Beklagte weiterhin, dass die Klägerin durch ihr Pferd verletzt worden sei.

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Der Senat hat die Parteien zum Unfallhergang angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen B. M. und M. S. sowie der Zeugen P. R. und M. P.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 5. Februar 2020, wegen des Sachvortrags auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

II.

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Die Berufung hat vorläufig Erfolg.

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Die Beklagte haftet der Klägerin aus § 833 S. 1 BGB dem Grunde nach für die Verletzungen, die ihr aus dem Reitunfall bei der Siegerehrung am 15. August 2015 entstanden sind. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass das Pferd der Beklagten die Klägerin bei der Flucht aus dem Dressurviereck am rechten Bein getroffen und dadurch ihre Gesundheit verletzt hat. Die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss wegen Handelns auf eigene Gefahr durch die Teilnahme an der Siegerehrung sind nicht gegeben.

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Wegen des Betragsverfahrens war die Sache auf den Hilfsantrag der Klägerin nach § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen, weil der Rechtsstreit weder hinsichtlich der Höhe des Schmerzensgeldes noch hinsichtlich der materiellen Schadenspositionen zur Entscheidung reif ist.

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Im Einzelnen:

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1. Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass das Pferd der Beklagten, nachdem es die Beklagte abgeworfen hatte, bei seiner Flucht aus dem Dressurviereck in Richtung des nahegelegenen Abreitplatzes die Klägerin, die noch auf ihrem Pferd an der gegenüberliegenden Seite des Vierecks saß, am rechten Bein traf und dabei eine Sprunggelenksverletzung verursachte.

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Die Darstellung der Klägerin zu dieser Feststellung, die nicht geprägt war von einer besonderen Übertreibungstendenz und eine schlüssige Beschreibung auch des Geschehens nach dem Vorfall lieferte, findet eine wesentliche Stütze in der Aussage des Zeugen R., der als Wettkampfrichter das Geschehen beobachtet hatte. Der Zeuge hatte trotz des Zeitablaufs von rund 5 Jahren noch eine glaubhafte Erinnerung an das entscheidungsrelevante Kerngeschehen. Er konnte die Umstände der „Ehrenrunde“, die örtlichen Abläufe zum Buckeln des Pferdes und des Abwerfens noch genau benennen und war sich auch sicher, dass es eine Berührung zwischen dem davonlaufenden Pferd und einem Pferd mit einer Reiterin gegeben habe. Der Senat kann insbesondere ausschließen, dass der Zeuge selbst gar keine eigene Erinnerung an den Vorfall hatte und die Schilderung lediglich auf Auskünften beruht, die er zur Vorbereitung auf die Zeugenvernehmung von dritter Seite, namentlich der Turnierveranstalterin V. H., eingeholt hatte. Der Zeuge hat auf einen entsprechenden Vorhalt die Kontaktaufnahme zu Frau H. durchaus eingeräumt; die Rücksprache war aus seiner Sicht aber nur erforderlich, weil ihm der Name der Parteien nichts sagte und er den Ort und den Zeitpunkt des Turniers erfragen wollte.

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Für eine tatsächlich erlebnisgebundene Aussage des Zeugen zum eigentlichen Vorfall, dem Buckeln, Abwerfen und dem anschließenden Zusammenprall spricht insbesondere, dass der Zeuge noch seine eigenen Gedanken und Empfindungen zu dem Geschehen wiedergeben konnte, etwa zu seiner zunächst bestehenden Sorge, das Pferd habe nach dem Abwerfen der Beklagten in den danebenstehenden Ansageturm geraten können.

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Auch die Aussage der Zeugin M. stützt die Darstellung der Klägerin. Die Zeugin hat das Geschehen als Zuschauerin unmittelbar wahrgenommen. Ihre Schilderung des Unfalls und der Verletzung war detailliert und widerspruchsfrei, sie hat den Vorgang nüchtern, aber lebensnah berichtet. Die persönliche Nähe der Zeugin M. zu der Klägerin (Tochter) steht ihrer Glaubwürdigkeit nicht entgegen. Ein Erfahrungssatz, dass die Glaubwürdigkeit allein deshalb eingeschränkt ist, weil der Zeuge einer der Prozessparteien nahesteht, ohne das weitere Umstände hinzutreten, besteht nicht (BGH, Urteil vom 18.01.1995 – VIII ZR 23/94, juris).

Randnummer26
Die Angaben der Beklagten wie auch die Aussagen ihrer Eltern, der Zeugin M. S. und des Zeugen M. P., beeinträchtigen diese Überzeugungsbildung nicht. Die Beklagte selbst konnte nach dem Sturz aus eigener Erinnerung keine Angaben dazu machen, in welcher Richtung ihr Pferd davongelaufen war und ob es dabei zu einer Kollision mit einem anderen Pferd gekommen war. Zwar schilderten auch die beiden Zeugen, die das Geschehen von der kurzen Viereckseite beobachtet hatten, glaubhaft, dass sie keinen Zusammenstoß oder einen Schrei der Klägerin wahrgenommen hatten. Dem misst der Senat indes nur wenig Bedeutung bei, denn unter den gegebenen Umständen spricht alles dafür, dass die Aufmerksamkeit beider Zeugen unmittelbar nach dem Buckeln des Pferdes allein auf ihre Tochter fixiert war, die gerade vom Pferd gestürzt war. Dem steht nicht entgegen, dass der Vater der Beklagten sich im Anschluss darum bemüht hatte, das Pferd wieder einzufangen. Denn dieser Entscheidung war nach den Angaben des Zeugen auch eine kurze Verständigung mit seiner Frau vorausgegangen, wer sich um die Tochter und wer sich um das Pferd kümmern solle. Angesichts des insgesamt kurzen Geschehensablaufs geht der Senat davon aus, dass sich das Geschehen zum Nachteil der Klägerin damit insgesamt der Wahrnehmung der Eltern der Beklagten entzogen hatte.

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2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht auch fest, dass die Kollision mit dem Pferd der Beklagten bei der Klägerin eine Körperverletzung hervorgerufen hat.

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Eine Körperverletzung liegt in jedem Hervorrufen eines von den normalen körperlichen Funktionen nachteilig abweichenden Zustandes. Unerheblich ist, ob Schmerzzustände auftreten oder eine tief greifende Veränderung der Befindlichkeit eingetreten ist (BGH NJW 2005, 2614; BGHZ 114, 284; OLG Hamm NJW 2012, 1088). Allerdings wird eine gewisse Erheblichkeit vorausgesetzt (vgl. MünchKomm-Wagner a.a.O. § 823 Rdn. 73; BeckOK-Spindler BGB § 823 Rdn. 30 unter Hinweis auf BGH NJW 1953, 1440 und BVerwG NJW 1972, 1726), da leichteste Zustandsveränderungen im Rahmen der Bandbreite üblicher, alltäglicher körperlicher Befindlichkeiten, die gemeinhin nicht als „krank“ oder Beeinträchtigung der Gesundheit oder des Körpers angesehen werden, noch kein von den normalen körperlichen Funktionen abweichender Zustand ist.

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Die Klägerin hat angegeben, unmittelbar nach dem Zusammenprall starke Schmerzen im rechten Sprunggelenk verspürt zu haben. Eine weitere Teilnahme am Reitturnier sei ihr wegen der Schmerzen nicht mehr möglich gewesen, sie habe nicht mehr auftreten und nur gestützt gehen können; das Sprunggelenk habe gekühlt werden müssen. Diese körperlichen Beeinträchtigungen überschreiten die Erheblichkeitsschwelle, die für die Annahme einer Körperverletzung vorausgesetzt ist. Nicht erforderlich ist es, auf der Ebene der Haftung dem Grunde nach bereits die sichere Feststellung zu treffen, ob die Klägerin die einzelnen von ihr – unter Vorlage der Arztberichte des Kernspinzentrums H. (Bl.20 ff d.A.) dargelegten – Verletzungsfolgen erlitten hat. Es genügt für die Annahme einer Körperverletzung im gegebenen Fall, dass die Klägerin nach dem Anprall Schmerzen verspürte.

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Die Angaben der Klägerin finden eine Bestätigung in den Angaben der Zeugin M., die der Senat – s.o. – als glaubhaft erachtet und für die Feststellung der Körperverletzung zu Grunde legt. Die Zeugin konnte sich noch an Details des Geschehens – etwa den Aufschrei der Klägerin – erinnern und hat lebensnah, aber ohne Belastungstendenz geschildert, wie sie die Klägerin nach dem Vorfall humpelnd und auf ihr Pferd abgestützt zum Anhänger geleitet hatte und wie sich die Beeinträchtigung des Sprunggelenks in den Folgetagen entwickelt hatte.

Randnummer31
3. Die Haftung der Beklagten ist nicht wegen Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts lässt die Teilnahme der Klägerin an der Siegerehrung auf dem Turnierplatz die Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 BGB weder unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr durch Risikoübernahme noch unter dem des Schutzzwecks der Norm entfallen.

Randnummer32
Bei der Tierhalterhaftung ist eine vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anzunehmen. Ein Tierhalter trägt als derjenige, der entscheidet, ob Dritte der von seinem Tier ausgehenden Gefahr ausgesetzt werden, grundsätzlich das entsprechende Verletzungs- und Schadensrisiko. Eine Haftung des Tierhalters ist erst dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn sich der Eintritt des Schadens nicht als Verwirklichung der normalen Tiergefahr darstellt, sondern dem eigenen Verhalten des Geschädigten zuzurechnen ist. Das ist der Fall, wenn der Geschädigte sich bewusst einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise mit dem Reiten oder der Nähe zu einem Pferd verbundenen Gefahr hinausgeht (BGH NJW-RR 2006, 813; BGH NJW 1992, 2474 jeweils m.w.N.). Das Bewusstsein der besonderen Gefährdung ist dabei stets Voraussetzung, um ein Handeln des Geschädigten auf eigene Gefahr annehmen zu können. Ob unter diesem Blickpunkt die Haftung des Tierhalters von vornherein entfällt, kann nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden (BGH, Urteil vom 30.04.13 – VI ZR 13/12, juris Rn. 11).

Randnummer33
Gemessen an diesem Maßstab sind die Voraussetzungen für eine Haftungsfreistellung nicht gegeben. Die Begleitumstände einer Siegerehrung auf einem Turnierplatz, wie die angespannte Wettkampfstimmung, das anwesende Publikum, die Musik und das erzwungene Stillstehen nebeneinander begründen kein ungewöhnliches Risiko, das die normale Tiergefahr erheblich übersteigt. Die Situation während der Siegerehrung mit den genannten Begleitumständen ist in seiner Gefährlichkeit mit sonstigen gefährlichen Reitveranstaltungen, wie etwa einer Fuchsjagd, nicht vergleichbar und geht nicht mit vergleichbar erhöhten Risiken einher, die einen Haftungsausschluss rechtfertigen könnten (vgl. auch LG Karlsruhe, NJW-RR 1997, 468, 468).

Randnummer34
Die Gefahr, dass ein Turnierpferd während einer Siegerehrung bockt, seinen Reiter abwirft, unkontrolliert umhergaloppiert und dabei mit einem Turnierteilnehmer zusammenstößt und ihn verletzt, geht nicht über das stets einzukalkulierende Maß einer möglichen Gefährdung durch das Pferd hinaus, das ein Tierhalter noch zu verantworten hat. Das erforderliche Bewusstsein der Teilnehmer der Siegerehrung, sich einer Gefahr auszusetzen, dürfte dabei primär auf das eigene Pferd gerichtet sein. Nicht als naheliegende Gefahr aufdrängen muss sich hingegen Reiterinnen und Reitern, durch ein frei galoppierendes Pferd verletzt zu werden, wenn sie sich selbst auf einem stehenden Pferd am Rand des Turnierplatzes befinden. Die streitgegenständliche Verletzung ist deswegen gerade auf das typische unvorhersehbare Verhalten eines Tieres zurückzuführen, welches die Gefährdungshaftung des § 833 S. 1 BGB begründet. Auch wenn das Verletzungsrisiko erhöht sein mag, wenn sich mehrere Reiter in einem umgrenzten Bereich befinden, liegt noch keine unkontrollierbare Gefahrensituation vor. Dabei ist auch zu beachten, dass alle Pferde, die bei der Siegerehrung teilnehmen, durch ihre Platzierung eine überdurchschnittliche Rittigkeit und Gehorsamkeit nachgewiesen haben. Eine besondere Gefahr, die über die allgemeinen Risiken des Reitens unter Beteiligung mehrerer Pferde hinausgeht, ist bei der Teilnahme an einer Siegerehrung deswegen nicht feststellbar (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.04.1984, 4 U 4/84, VersR 86, 1244).

Randnummer35
Auch ein sonstiger Haftungsausschlussgrund ist nicht erkennbar. Anhaltspunkte für einen rechtsgeschäftlichen, stillschweigenden Haftungsausschluss bestehen nicht, da es sich beim Reitsport nicht um einen Kontaktsport handelt (zum Haftungsausschluss in diesen Fällen vgl. BGHZ 154, 316). Vielmehr spricht die im Reitsport in der Regel bestehende Haftpflichtversicherung der beteiligten Pferdehalter gerade gegen das Interesse und einen entsprechenden Willen der Beteiligten für einen stillschweigenden Haftungsausschluss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 09. Juni 1992 – VI ZR 49/91 –, juris Rn. 14).

Randnummer36
4. Der Anspruch der Klägerin ist nicht aufgrund eines Mitverschuldens oder wegen der mitwirkenden Tiergefahr ihres Pferdes in direkter bzw. entsprechender Anwendung von § 254 BGB zu kürzen.

Randnummer37
Ein sorgfaltswidriges Verhalten der Klägerin bei der Siegerehrung hat die Beklagte bereits nicht vorgetragen. Die Nähe zu anderen Pferden allein begründet keinen Verschuldensbeitrag i.S.v. § 254 BGB, soweit dem Betroffenen kein konkreter Vorwurf, etwa die Einhaltung eines zu geringen Sicherheitsabstandes oder die Annäherung an ein erkennbar bösartiges Pferd gemacht werden kann (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 03.04.1984, 4 U 4/84, VersR 86, 1244). Allein der Umstand, dass die Klägerin überhaupt an der Siegerehrung teilgenommen hat, auch wenn sie nach den Wettbewerbsregularien dazu – wie die Beklagte vorträgt – nicht verpflichtet war, begründet ebenfalls keine Sorgfaltswidrigkeit, denn die Klägerin hat sich dadurch nicht in vorwerfbarer Weise einer besonders erhöhten Tiergefahr ausgesetzt. Insbesondere hat sie sich in der konkreten Gefahrensituation in einen Sicherheitsabstand begeben und an den Rand des Vierecks bewegt, um zu vermeiden, dass ihr Pferd sich von der Unruhe des vor ihr reitenden Pferdes der Beklagten anstecken ließ.

Randnummer38
Auch muss sich die Klägerin nicht in entsprechender Anwendung von §§ 254, 833 BGB die mitwirkende Tiergefahr ihres eigenen Pferdes anrechnen lassen. Der Unfall ist allein dadurch entstanden, dass das Pferd der Beklagten gegen die auf ihrem Pferd sitzende Klägerin geprallt ist. Daher beschränkte sich die Tiergefahr des eigenen Pferdes der Klägerin allein auf ein „Dasein“; insoweit hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn die Klägerin an gleicher Stelle auf einem Podest gestanden hätte. Ein solches Verhalten des Tieres reicht für die Annahme einer mitwirkenden Tiergefahr nicht aus. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bocken des Pferdes der Beklagten gerade auf die Anwesenheit des Pferdes der Klägerin – gewissermaßen als Reizauslöser – zurückgeführt werden kann.

Randnummer39
5. Danach war auf den Hilfsantrag der Rechtsstreit gem. § 538 Abs. 2 Nr. 4 ZPO zur Entscheidung über die Schadensersatzansprüche der Klägerin an das Landgericht zurückzuverweisen. Der Rechtsstreit ist der Höhe nach noch nicht zur Entscheidung reif. Für die Bemessung des Schmerzensgeldes bedarf es weitergehender Feststellungen zu den genauen Folgen und dem Umfang der Sprunggelenksverletzung; auch die Voraussetzungen für die Höhe des Haushaltsführungsschadens stehen in Streit.

Randnummer40
6. Die Kostenentscheidung war der Endentscheidung des Landgerichts vorzubehalten.

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7. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Kernfrage des Rechtsstreits, ob bei einer Teilnahme an einer Siegerehrung eines Reitturniers ein Haftungsausschluss wegen Übernahme eines besonderen, über die allgemeine Tiergefahr hinausgehendes Risiko anzunehmen ist, betrifft die Entscheidung eines Einzelfalls und ist weder eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert sie aus Gründen der Rechtsfortbildung oder Einheitlichkeitssicherung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).