Pferderecht Alttag

Stürzen ohne Helm


September 2014.
Stürzen ohne Helm

Ein aktuelles BGH-Urteil stellt die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen über die Verpflichtung zum Selbstschutz – aber Achtung: das Urteil ist auf den Reitsport nicht ohne weiteres übertragbar.
Am Donnerstag, den 17.07.2014 urteilte der Bundesgerichtshof, dass einen Fahrradfahrer, der ohne Helm einen Verkehrsunfall mit Kopfverletzungen erleidet, keine Mitschuld trifft (VI ZR 281/13). Damit wurde eine indirekte Pflicht zum Helmtragen auf dem Fahrrad durch die Richter abgelehnt – eine direkte Vorschrift zum Helmtragen auf dem Fahrrad existiert ohnehin (noch) nicht. Für die Mithaftung am eigenen Gesundheitsschaden ist Voraussetzung, dass der Geschädigte die „im Verkehr erforderliche Sorgfalt“ außer acht lässt. Für diesen Sorgfaltsbegriff ist wiederum die „allgemeine Verkehrsanschauung“ oder auch das „allgemeine Verkehrsbewusstsein“ maßgeblich.

Das Oberlandesgericht Schleswig hatte einer Radfahrerin, die ohne eigenes Verschulden über eine sich öffnende Autotür stürzte, im Mai 2013 eine 20 prozentige Teilschuld an ihren Verletzungen gegeben, da sie keinen Helm trug. Dabei wurde davon ausgegangen, dass nach heutigen Maßstäben jeder vernünftig denkende Mensch zur Vermeidung von Schäden beim Radfahren einen Helm tragen werde. Dem widersprachen die Bundesrichter in Karlsruhe und hoben das Urteil wieder auf. Denn laut Umfragen und Statistiken sind die Helm tragenden Radfahrer trotz steigender Zahlen immer noch die Minderheit, so dass ein solches allgemeines Bewusstsein für das Tragen des Helms auf dem Fahrrad unter diesen Voraussetzungen eben nicht bejaht werden könne. Die Mehrheit der Bundesbürger empfinde das Fahrradfahren ohne Helm im allgemeinen nicht als gefährlich. Aus dem Umstand, dass bislang lediglich 6 % aller „normalen“ Radfahrer einen Helm tragen, ergebe sich, dass die Allgemeinheit das mit dem Fahrradfahren verbundene Risiko offenbar auch ohne Helm für beherrschbar halte, befand bereits ein saarländisches Gericht (OLG Saarbrücken, Urteil vom 9.10.2007, 4 U 80/07). Dieser Grundsatz gilt offenbar also auch heute noch, auch wenn die Zahl der Helm tragenden Fahrer mittlerweile erheblich angestiegen sein dürfte.

Bei Risikosportarten wird dies allerdings anders gesehen. Bei Sportradfahrern wird schließlich das Tragen eines Helms vorausgesetzt (OLG Düsseldorf, NJW 2007, 3075) , ebenso wie bei Skifahrern (LG München II, 10 O 3954/10), obgleich es auch hier keine gesetzliche Pflicht dazu gibt. Auch Motorrad- und Rollerfahrer bekamen schon 10 Jahre bevor die offizielle Helmpflicht eingeführt wurde, eine Teilschuld zugewiesen, wenn sie Kopfverletzungen erlitten, da sie ohne Helm fuhren (BGH, 9.2.1965, VI ZR 253/63).
Bereits im letzten Jahr (Heft 6/2013) berichteten wir über die Verpflichtung zum Helmtragen und die Mithaftung bei Unfällen ohne den Schutz der Reitkappe. Dabei stehen die Pflichten zum Tragen des Reithelms in der LPO seit Januar 2013 fest: Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre, sämtliche Teilnehmer der Klassen E-A und Springreiter müssen (auf Turnieren) einen Helm tragen. Ab 18 Jahren, ab der L-Dressur aufwärts und zu Hause auf heimischem Terrain sowieso kann also nach wie vor jeder reiten wie er will. Ausschlaggebend für einen Mithaftungsanteil bei Kopfverletzungen ist aber immer jeweils die Situation im Einzelfall.

Schließlich ist in der Vergangenheit schon mehrfach Reitern mit Kopfverletzung ein Mitverschulden daran zugesprochen worden. Allerdings kamen dabei auch jeweils weitere erschwerende Umstände zum Nichttragen der Kappe hinzu, so dass die Fälle auch keineswegs mit dem aktuell vom BGH entschiedenen Fall vergleichbar sind. So wurde im Falle einer 16jährigen Reiterin dieser ein ganz überwiegendes Mitverschulden sowohl an Ihrem Sturz überhaupt als auch an den erlittenen Kopfverletzungen zuerkannt, da sie sich, ohne Reitkenntnisse zu besitzen, auf ein Pferd gesetzt hatte und dazu über die nötige Einsichtsfähigkeit verfügen musste, das Risiko des Reitens ohne Reitkappe zu erkennen (LG Erfurt, Urteil vom 23.02.2007, 3 O 1529/06). 1992 entschied der Bundesgerichtshof, dass eine 15 Jährige, die sich ohne Reitkenntnisse und ohne Reitkappe entgegen des Verbots der Mutter auf ein Pferd setzt, sich zu einem Drittel ein Mitverschulden an den erlittenen Verletzungen anrechnen lassen müsse (BGH, Urteil vom 22.12.1992, VI ZR 53/92). Auch hier spielte bei der Urteilsfindung die „allgemeine Verkehrsanschauung“ eine Rolle. Die Geschädigte trug schließlich vor, es sei 1988, zum Zeitpunkt des Unfalls, unter Jugendlichen nicht üblich gewesen, mit Kappe zu reiten. Der BGH ließ das Argument in diesem Falle aber nicht gelten, da es gerade zu dieser Frage damals keine beweiskräftigen Erhebungen, Statistiken und Umfragen gab, die die Klägerin zur Stützung ihrer These hätte vorlegen können – anders als im aktuell entschiedenen Fall der Radfahrerin. Die Frage, ob z.B. einen über 18 Jahre alten Dressurprofi, Freizeit- oder Westernreiter, der zu Hause ohne Helm in der Halle oder auf dem Reitplatz auf einem erfahrenen Pferd in einer alltäglichen, ungefährlichen Atmosphäre trainiert, ein Mitverschulden bei Schädelverletzungen infolge eines Stutrzes treffen würde, ist damit nach wie vor völlig offen und nicht gerichtlich entschieden. Im März 2010 geschah genau dies der US-Amerikanerin Courtney King-Due, die, nachdem ihr Pferd auf dem Dressurabreiteplatz ausgerutscht war, wochenlang mit schweren Kopfverletzungen im Koma lag und ums Überleben kämpfte. Danach führte Kanada 2012 als erstes Land der Welt die uneingeschränkte Helmpflicht für Dressurreiter aller Altersklassen und Turnierkategorien ein.