Rechtsberatung Alttag

Tiergefahr und Straßenverkehr – Verursachung und Verschulden begründen die Haftungsquote

Verkehrsunfälle im Zusammenhang mit frei laufenden Tieren haben immer wieder hohe Sach- und Personenschäden zur Folge. Wer haftet jeweils für den eingetretenen Schaden und in welcher Höhe? Sowohl die Betriebsgefahr bei Kraftfahrzeugen als auch die Tiergefahr lösen die Gefährdungshaftung des jeweiligen Halters aus, d.h. die Haftung für den Schaden, ohne dass ein Verschulden des Halters dafür erforderlich ist, einfach nur, weil durch das Fahrzeug oder durch das Tier ein Schaden verursacht wurde. Wenn nun an der Herbeiführung eines Schadens sowohl der Betrieb eines Kraftfahrzeugs als auch ein Tier beteiligt war, ist die Frage welcher Halter zu welchem Anteil haften muss. Trifft keinen der beiden Halter an dem Vorfall ein Verschulden, muss das Gericht abwägen, welche Gefahr sich in dem Unfall zu einem höheren Anteil niedergeschlagen hat. In der Regel fällt diese Abwägung zu einem höheren Anteil zu Lasten des Tierhalters aus, da die Tiergefahr einfach unberechenbarer ist als die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs und diese zumindest auf der Straße jedenfalls das Vorrecht haben. So haben Gerichte bei Zusammenstößen von frei laufenden Hunden oder Pferden mit Autos die Haftung für den Schaden zum überwiegenden Teil wenn nicht sogar allein beim Tierhalter gesehen. Dies muss jedoch in jedem einzelnen Schadensfall je nach der konkreten Situation sorgfältig geprüft und abgewogen werden. Kommt auf einer der beiden Seiten ein Verschulden hinzu oder das Verschulden eines Dritten, z.B. des Fahrers oder des Tierhüters, dann tritt hinter dieser Verschuldenshaftung die Gefährdungshaftung vollständig zurück. Dies wird in der Praxis oftmals übersehen – auch von Gerichten – und auch teilweise sehr unterschiedlich gehandhabt. Dies zeigt allein ein Fall, der schon zweimal Gegenstand dieser Rubrik war und mittlerweile zum 4. Male gerichtlich entschieden wurde:

Die Geschädigte in diesem Fall war die selbst schwerverletzte Tierhalterin, die ihr eigenes Pferd an der Hand geführt hatte, als dieses scheute und sie zu Boden riss, als ein Auto vorbei fuhr. Die Tierhalterin erlitt schwerste Gesichts-, Schädel- und Hirnverletzungen, wofür die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung des vorbeifahrenden Fahrzeugs haftbar gemacht werden sollte. Der Richter des Landgerichts wies die Klage auf Schadensersatz in erster Instanz vollständig ab, da nicht erwiesen sei, dass das Scheuen des Pferdes durch das Auto verursacht worden sei und der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Führen des Kfz und dem Unfall somit fehle (LG Hannover, 3 O 398/12).

Hiergegen wendete sich die geschädigte Pferdehalterin mit der Berufung, die jedoch vom Oberlandesgericht ebenfalls zurück gewiesen wurde, wenn auch mit anderer Begründung: es könne dahinstehen, ob das vorbeifahrende Fahrzeug den Unfall verursacht habe oder nicht, denn selbst wenn dem so wäre, hätte sich die unberechenbare Tiergefahr des eigenen Pferdes in dem Unfall so viel stärker realisiert als die Betriebsgefahr des vorbei fahrenden Autos, dass die letztere zu vernachlässigen sei. Und darüber hinaus träfe die Klägerin auch noch ein eigenes Mitverschulden an dem Unfall, weil sie sich trotz Wahrnehmung des herannahenden Fahrzeugs mit ihrem Tier nicht aus der Gefahrenzone heraus bewegt habe, sondern mit dem Pferd stattdessen noch die Straße überquert und damit den Fahrweg des Autos gekreuzt habe (OLG Celle, 26.03.2014, siehe Heft 2/2015).

Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil auf die Revision der Klägerin gegen dieses zweite Urteil auf, weil das Oberlandesgericht gleich zwei Fehler gemacht habe. Zum Einen sei es Beweisangeboten der Klägerin zu Unrecht nicht nachgegangen, wonach diese ihre vollständige Unschuld an dem Vorfall nachweisen wollte, d.h. dass ihre Vorgehensweise des Führens des Pferdes und ihre Reaktion zum Zeitpunkt des Vorbeifahrens des Fahrzeugs völlig korrekt und fachgerecht gewesen sei und für sie selbst somit der Unfall unvermeidbar war. Zum anderen hatte das Gericht übersehen, dass für ein eigenes Mitverschulden der Klägerin, was dem Urteil schlichtweg vom Gericht zugrunde gelegt worden war, die Beklagte beweisbelastet gewesen wäre (BGH 13.01.2015, VI 204/14, siehe Heft 5 /2015). Der Fall ging somit wieder zur erneuten Entscheidung zurück an das OLG Celle, was nunmehr entschied: die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung haftet zu 50 %. Zunächst bejahte es den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Vorbeifahren des Fahrzeugs und dem Scheuen des Pferdes, nachdem es die örtlichen Gegebenheiten selbst aufsuchte und im Rahmen eines Ortstermins unter Hinzuziehung von Sachverständigen, Zeugen und Beteiligten ein Fahrversuch unternommen und Vermessungen gemacht wurden.

Alles zusammen führte schließlich zur Überzeugung des Gerichts, dass der enge zeitliche und räumliche Zusammenhang des Vorbeifahrens und dem Scheuen für die Kausalität der Betriebsgefahr für den Unfall ausreiche. Ein Verschulden hingegen sei auf keiner der beiden Seiten festzustellen, weder beim Fahrer des Fahrzeugs noch auf Seiten der geschädigten Tierhalterin selbst. Die Verursachung allein und damit die in dem Unfall realisierte Gefährlichkeit wurde sodann vom Gericht jeweils zur Hälfte beim Betrieb des Fahrzeugs und zur Hälfte beim Fluchtinstinkt des Pferdes gesehen. Weder die eine noch die andere Gefahr habe sich hier überwiegend unfallverursachend ausgewirkt (OLG Celle, 20.01.2016, 14 U 128/13).