BGH, Urteil vom 23.10.1975, III ZR 108/73

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 28. Februar 1973 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Kläger ist Landwirt in G-D. Er betreibt in fünf Teichen Fischzucht. Die hintereinander liegenden Teiche durchfließt ein wasserführender Graben, der in die W mündet. Der Graben war ein Gewässer dritter Ordnung im Sinne des § 2 Nr. 3 des Wassergesetzes des Landes Schleswig-Holstein vom 25. Februar 1960 (LWG — GVOBl 1960, 39); er wird katasteramtlich unter der Bezeichnung Flurstück … der Flur … Gemarkung G-D geführt.

Im Januar/Februar 1970 ist der gesamte Fischbestand der Teiche eingegangen. Der Kläger, der seinen Schaden auf insgesamt 11 725 DM beziffert, hat von der beklagten Gemeinde als Eigentümerin des Grabens die Hälfte seines Schadens ersetzt verlangt und zur Begründung vorgetragen: Seit Jahren gelange durch den Graben Jauche in seine Teiche, die vermutlich von den oberhalb der Teiche gelegenen landwirtschaftlichen Betrieben stamme.Bereits 1968 seien durch verstärkte Jauchezuleitungen seine Fischbestände geschädigt worden. Obwohl er dies seinerzeit der Beklagten mitgeteilt hätte, habe diese nicht für Abhilfe gesorgt. Durch verstärkten Jauchezufluß in den Monaten Januar/Februar 1970 sei schließlich der gesamte Fischbestand verendet. Für diesen Schaden sei die Beklagte verantwortlich, weil sie als Eigentümerin dafür hätte sorgen müssen, daß keine Jauche durch den Graben in die Fischteiche eingeführt würde.

Die Beklagte hat in Abrede genommen, Eigentümerin des Grabens zu sein. Das Fischsterben sei zudem, so hat sie geltend gemacht, auf mangelhafte Unterhaltung der Teiche durch den Kläger zurückzuführen. Auch müsse angenommen werden, daß die flachen Teiche in dem Winter 1969/1970 ausgefroren seien und deswegen der Fischbestand eingegangen sei. Sollte aber das Fischsterben durch Jauchezufuhr verursacht worden sein, so müsse sich der Kläger an diejenigen halten, die die Jauche in den Graben eingeleitet hätten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Im Berufungsrechtszug hat der Kläger u.a. ergänzend vorgetragen, im Herbst 1971 und im Frühjahr 1972 habe er wiederum erheblichen Schaden an seinem (neuen) Fischbestand erlitten, weil die Oberlieger immer noch ihre Jauche und ihre Abwässer in den Graben der Beklagten einleiteten. So leite der Landwirt A durch eine eigene Rohrleitung die Jauche in den Graben und der Landwirt M, der eine Schweinemästerei betreibe, lasse seine Abwässer unmittelbar in den Graben fließen.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein bisheriges Begehren weiter.Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

I.
Das Berufungsgericht hat ohne Beweisaufnahme eine Schadensersatzpflicht der Beklagten nach § 22 Abs. 1 WHG mit der Begründung verneint, schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers könne nicht angenommen werden, daß die Beklagte schädliche Stoffe in den Graben, der die Fischteiche durchfließe, „eingeleitet“ habe.
Zwar sei der Begriff des „Einleitens“ im Sinne des § 22 Abs. 1 WHG von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt, doch könne auch bei weitester Auslegung des Begriffes der Beklagten nicht vorgeworfen werden, Jauche und Abwässer in ein Gewässer „eingeleitet“ zu haben. „Eingeleitet“ worden seien diese Schadstoffe von den Anliegern in das Grabenwasser. Daß sodann das verschmutzte Wasser in die Teiche des Klägers geflossen sei, würde auch dann nicht die Annahme rechtfertigen, die Beklagte habe durch positives Tun die Schadstoffe „eingeleitet“, wenn sie die Eigentümerin des Grabens wäre.

Nun könne zwar — so hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt — das Erfordernis des „Einleitens“ auch durch Unterlassen verwirklicht werden, wenn eine Rechtspflicht zum Handeln bestanden habe. Eine Pflicht der Beklagten als Anliegergemeinde zur Reinhaltung des Wassers sei aber weder aus § 28 WHG noch aus § 38 LWG herzuleiten. Sie ergäbe sich auch nicht aus einer Eigentümerstellung.
Schließlich hat das Berufungsgericht gemeint, eine etwaige Amtspflichtverletzung der Beklagten müsse außer Betracht bleiben, da der Kläger nicht dargetan habe, daß er von den Oberliegern, die Jauche und Abwässer in den Graben geleitet hätten, keinen Ersatz erlangen könne.

II.
Die Revision rügt die Nichtanwendung des § 22 WHG und meint, es widerspreche dem Schutzzweck dieser Vorschrift, wenn die Verantwortlichkeit desjenigen, der durch ein ihm gehörendes Gewässer die Weiterleitung von Schadstoffen bewirkt habe, mit der Begründung verneint werde, der haftungsbegründende Vorgang des Einleitens sei bereits mit dem Eintritt der Schadstoffe in den Graben beendet gewesen. Daß die Beklagte Eigentümerin des Grabens sei, durch welchen nach dem Vorbringen des Klägers Jauche und Abwässer in die Fischteiche einflössen, müsse für den Revisionsrechtszug angenommen werden, da das Berufungsgericht diese Frage offengelassen habe.

Zu Unrecht, so macht die Revision weiter geltend, habe das Berufungsgericht eine Verpflichtung der Beklagten zur Reinhaltung des Wassers abgelehnt. Wenn diese Verpflichtung nicht schon aus der wasserrechtlichen Unterhaltungspflicht folge, so doch zumindest aus der Verantwortlichkeit der Beklagten als Gewässereigentümerin. Als Eigentümerin hätte sie die Einleitung von Jauche und Abwässern in den Graben verhindern müssen und können. Diese aus § 823 BGB abzuleitende Pflicht bestehe neben wasserrechtlichen Haftungsnormen. Das Berufungsgericht hätte daher Beweis erheben müssen über die Behauptung des Klägers, die benannten Oberlieger hätten mit und ohne Rohrleitungen ihre Jauche und Abwässer in den Graben der Beklagten geleitet, ohne daß diese gegen die ihr seit 1968 bekannten Zustände eingeschritten sei. Dieses Verhalten der Beklagten hätte schließlich das Berufungsgericht veranlassen müssen, ihre Haftung auch unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen Schädigung des Klägers nach § 826 BGB zu prüfen.

III.
Die Revision muss im Ergebnis Erfolg haben.
Da das Berufungsgericht — ebenso wie das Landgericht — keine eigenen Feststellungen getroffen hat, muß für den Revisionsrechtszug davon ausgegangen werden, daß die Beklagte Eigentümerin des Grabens ist, in dessen Wasser die Oberlieger des Klägers Jauche und Abwässer geleitet haben, ohne daß die Beklagte eingeschritten wäre, und daß durch diese Schadstoffe im Januar/Februar 1970 der gesamte in den Teichen des Klägers befindliche Fischbestand eingegangen ist.

a) Nach § 22 Abs. 1 WHG muß Schadensersatz leisten, wer in ein Gewässer Stoffe einbringt oder einleitet oder auf ein Gewässer derart einwirkt, daß die physikalische, chemische oder biologische Beschaffenheit des Wassers verändert wird. Diese Vorschrift enthält einen Gefährdungstatbestand, der nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes vom Verschulden unabhängig ist, so daß es nicht darauf ankommt, ob die Einleitung schädlicher Stoffe vorsätzlich, wissentlich oder fahrlässig, also mit oder ohne vorwerfbare Kenntnis oder Duldung des Einleiters erfolgt (BGHZ 55, 180, 182).

Allerdings herrscht darüber, was unter den Begriffen des Einleitens und des Einbringens von Stoffen in der die Gewässerbenutzung betreffenden Norm (§ 3 Abs.1 Nr. 4 und Nr. 5), in der privatrechtlichen Haftungsnorm (§ 22 Abs. 1) und in der Strafnorm (§ 38 Abs.1 Nr.1) des Wasserhaushaltsgesetzes zu verstehen ist, in Rechtsprechung und Schrifttum keine Einigkeit. Doch bedarf die umstrittene und vom Senat bisher offengelassene Frage, ob unter „Einleiten“ im Sinne des § 22 Abs. 1 WHG nur ein bewußt auf dieses Ziel gerichtetes Handeln zu verstehen ist, oder ob ein Verhalten genügt, das nach seiner objektiven Eignung auf das Hineingelangen gerichtet ist (vgl. BGHZ 57, 170, 173 mit Nachweisen), auch hier keiner Erörterung (vgl.hierzu auch BVerwG NJW 1974, 815).

b) Der Kläger wirft der Beklagten vor, sie habe nichts gegen seine Oberlieger unternommen, die Jauche und Abwässer in den Graben eingeleitet hätten. Es kann sich also, soweit das Verhalten der Beklagten selbst in Rede steht, nur um ein Einleiten durch Unterlassen handeln. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Begriff des Einleitens im Sinne des § 22 Abs. 1 WHG auch durch ein Unterlassen verwirklicht werden kann. Das setzt voraus, daß der Unterlassende etwas nicht getan hat, wodurch er den Schaden hätte abwenden können, und daß für ihn eine Rechtspflicht zum Handeln bestand (Gieseke/Wiedemann, WHG, 2. Aufl. § 22 Anm. 3a; Witzel, WHG, 5. Aufl. § 22 Rdn 2). Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Prüfung, ob eine erlaubnispflichtige Gewässerbenutzung vorlag, in seinem zuvor erwähnten Urteil die Auffassung vertreten, durch Unterlassen leite jemand Stoffe in ein Gewässer nur dann ein, wenn er mit seinem Untätigbleiben planvoll darauf abziele, daß Stoffe in oberirdische Gewässer oder in das Grundwasser gelangten; denn für das Einleiten von Stoffen nach der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 4 und 5 WHG sei ein auf die Gewässerbenutzung zweckgerichtetes Verhalten schlechthin konstitutiv, es müsse mithin ganz unabhängig davon gegeben sein, ob das Einleiten durch ein vom gesetzlichen Tatbestand grundsätzlich vorausgesetztes positives Tun oder durch ein Unterlassen geschehe. Ob ein solches „planvolles Unterlassen“ auch zu fordern ist, wenn — wie hier — die Anwendung der Haftungsnorm des § 22 Abs. 1 WHG in Rede steht, kann offenbleiben.

c) Das Berufungsgericht hat eine Rechtspflicht der Beklagten zum Handeln verneint: Allerdings sei die Beklagte nach §§ 29 WHG, 41 Abs. 2 LWG als Anliegergemeinde gehalten, die Unterhaltungspflicht hinsichtlich des Grabens zu erfüllen. Doch gehöre zur Unterhaltung weder nach § 28 WHG noch nach § 38 LWG die Pflicht, das Wasser reinzuhalten.
Soweit das Berufungsgericht die bundesrechtliche Rahmenvorschrift des § 28 WHG ausgelegt hat, ist seine Ansicht zutreffend; denn nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift umfaßt die Unterhaltung eines Gewässers nur die Erhaltung eines ordnungsgemäßen Zustandes für den Wasserabfluß und an schiffbaren Gewässern auch die Erhaltung der Schiffbarkeit, nicht aber die „Reinigung“ des Wassers (Gieseke/Wiedemann aaO § 28 Rdn 7a; vgl. dazu auch Senatsurteil vom 27. Mai 1974 — III ZR 194/71 = ZfW 1974, 355).

Soweit das Berufungsgericht Landesrecht angewendet hat, unterliegt das nicht der Nachprüfung durch das Revisionsgericht; denn Schleswig-Holsteinisches Landesrecht ist nach § 549 ZPO nicht revisibel (Senatsurteil in LM Nr. 2 zu DBG § 35 Leitsatz zu c). Eine inhaltsgleiche Regelung in anderen Ländern könnte die Revisibilität nur herstellen, wenn die Übereinstimmung bewußt und gewollt zum Zwecke der Vereinheitlichung herbeigeführt worden wäre (Senatsurteil in LM Nr. 47 zu § 549 ZPO). Das ist nicht der Fall.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht aber für den Eigentümer des Grabens die Verpflichtung, gegen die Einleitung von Jauche und Abwässer in das Grabenwasser einzuschreiten.
Aus § 823 BGB ergibt sich ganz allgemein für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle, einen gefahrdrohenden Zustand, mit anderen Worten eine Sachlage, von der eine Gefahr für Dritte ausgeht, schafft oder andauern läßt, die Verpflichtung, die ihm zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden (Senatsurteil in NJW 1968, 443). Auf Grund dieser Sicherungspflicht ist der Eigentümer des Grabens im Rahmen des Zumutbaren gehalten, gegen das für den Fischbestand eines Dritten schädliche Einleiten von Jauche und Abwässer in das Grabenwasser einzuschreiten und es zu unterbinden. Kommt der Eigentümer dieser Verpflichtung nicht nach, so ist er infolge dieses Unterlassens als Einleiter nach § 22 Abs. 1 WHG jedenfalls dann verantwortlich, wenn aus seinem Graben stammendes verschmutztes Wasser ein Fischsterben in vom Grabenwasser durchflossenen Teichen eines Dritten herbeigeführt hat und er das Einleiten von Jauche und Abwässer, also einen gefährlichen Zustand über einen längeren Zeitraum hinweg geduldet hat; ein solches Dulden wäre einem „planvollen Unterlassen“, wie es das Bundesverwaltungsgericht (aaO) gefordert hat, gleichzuachten.

Ausgehend von dem in der Revisionsinstanz zugrunde zu legenden Vorbringen des Klägers bedeutet dies: Würde der Graben im Eigentum der Beklagten stehen, so könnte die Beklagte gehalten gewesen sein, den Oberliegern ein für den Fischbestand des Klägers schädliches Einleiten von Jauche und Abwässer in das Grabenwasser zu verbieten (Unterlassungsanspruch entspr. § 1004 BGB, vgl. BGH VersR 1970, 625 ff) und gegebenenfalls die Wasserbehörde einzuschalten, um eine rasche Befolgung ihres Verbots durchzusetzen. Eine pflichtwidrige Untätigkeit der Beklagten ließe sich einem „planvollen Unterlassen“ (im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts) gleichachten, wenn die Beklagte, wie der Kläger behauptet, das gefährliche Verhalten der Oberlieger seit 1968 gekannt und geduldet hat. Dieses Unterlassen wäre ursächlich für den vom Kläger geltend gemachten Schaden, wenn durch ein pflichtgemäßes Einschreiten der Beklagten das Fischsterben hätte verhindert oder doch in seinen Auswirkungen hätte gemindert werden können.

d) Das Berufungsgericht hätte daher die Fragen, ob die Beklagte Eigentümerin des Grabens ist, ob und wie lange sie eine Verschmutzung des Grabenwassers durch die Oberlieger geduldet hat und ob durch das verschmutzte Wasser der Fischbestand in den Teichen des Klägers eingegangen ist, nicht offenlassen und die Beweisantritte des Klägers zu diesen Punkten nicht unbeachtet lassen dürfen.

IV.
Da das Revisionsgericht die fehlenden Feststellungen nicht selbst treffen kann und die Entscheidung des Berufungsgerichts auch nicht aus anderen Gründen gehalten werden kann, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückverwiesen werden.
Für das weitere Verfahren sei bemerkt:

a) Neben einer Haftung der Beklagten aus § 22 Abs. 1 WHG wäre eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung der allgemeinen Sicherungspflicht nicht rechtsgrundsätzlich ausgeschlossen (BGHZ 55, 180, 182/3; Gieseke/Wiedemann aaO § 22 Anm.7; Sieder/Zeitler, WHG, § 22 Rdn 59).

b) Auf die Haftung aus der Spezialvorschrift des § 22 WHG ist § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht anwendbar (Senatsurteil in VersR 1972, 463, 465; BGHZ 55, 180, 182/3). Im übrigen löst die mangelhafte Unterhaltung eines Gewässers durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft in aller Regel nur Ersatzansprüche nach §§ 823 Abs. 1, 31, 89 BGB, nicht aber nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG aus (Senatsurteil in ZfW 1974, 355 mit Nachweisen).

c) Ob, wie die Revision meint, eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB zu erörtern ist, wird erst nach der vom Berufungsgericht durchzuführenden Beweisaufnahme zu den Haftungsgrundlagen der §§ 22 Abs. 1 WHG und § 823 Abs. 1 BGB zu beurteilen sein. Nach dem bisherigen Vorbringen des Klägers mußte sich eine solche Prüfung dem Berufungsgericht nicht aufdrängen.