BSG 19.07.2023 – B 6 KA 5/22 R
Leitsätze
Die Anordnung des Ruhens der Zulassung hat auch dann Vorrang vor einer Zulassungsentziehung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit, wenn während des Zulassungsentziehungsverfahrens ein Sitzverlegungsantrag gestellt wird und eine Aufnahme der Tätigkeit am neuen Standort in angemessener Frist zu erwarten ist.
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18. November 2020 aufgehoben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 10. Januar 2018 zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
- Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Zulassungsentziehung.
- Die klagende Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ist Trägerin eines seit April 2011 am Standort R zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) mit zwei angestellten Ärzten, einem Facharzt für Laboratoriumsmedizin/Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie (J) und einem Facharzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie (S). Beide Ärzte waren fachbezogen als ärztliche Leiter des MVZ bestellt. Mit Wirkung vom 1.12.2012 reduzierten sie ihre Arbeitszeit von ursprünglich 40 auf zwölf Wochenstunden. Seit dem 1.1.2013 waren beide Ärzte außerdem im Umfang von jeweils 31 Stunden wöchentlich im MVZ N als angestellte Ärzte vertragsärztlich tätig.
- Trotz der Reduzierung der Arbeitszeiten veränderten sich die vom MVZ abgerechneten Fallzahlen zunächst nicht. In den Quartalen 1/2012 bis 2/2013 rechnete das MVZ durchschnittlich 8121 Fälle pro Quartal ab. Im Quartal 3/2013 reduzierten sich die Fallzahlen dann auf 679 Fälle, im Quartal 4/2013 wurden keine Fälle und in den nachfolgenden Quartalen lediglich vereinzelt Fälle abgerechnet, alle ausschließlich von J.
- Nachdem der Zulassungsausschuss für Ärzte in Mecklenburg-Vorpommern (im Folgenden: Zulassungsausschuss) im Februar 2014 erfuhr, dass die Laborräume des MVZ seit einem halben Jahr leergezogen seien, hörte er die Klägerin zu einer möglichen Zulassungsentziehung wegen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit an. Die Klägerin beantragte hierauf am 5.3.2014, ihr die Verlegung des Vertragsarztsitzes mit Wirkung vom 3.4.2014 nach G zu genehmigen. Eine Verlegung des Sitzes nach G sei bereits zum Oktober 2013 geplant gewesen. Die Gespräche mit den Verantwortlichen des Klinikums G bezüglich der Mitnutzung des Labors in G hätten sich jedoch länger als erwartet hingezogen. Eine Vertragsunterzeichnung sei letztendlich erst im Februar 2014 erfolgt. Sie könne nunmehr jederzeit den Sitz nach G verlegen.
- Der Zulassungsausschuss entzog dem MVZ der Klägerin mit Wirkung vom 3.7.2014 die Zulassung (Beschluss vom 2.7.2014; Bescheid vom 18.7.2014). Das MVZ habe seine vertragsärztliche Tätigkeit seit neun Monaten nicht ausgeübt. Eine beabsichtigte Praxisverlegung oder Schwierigkeiten bei den Vertragsverhandlungen rechtfertigten nicht die Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit. Ein Antrag auf Ruhen sei nicht gestellt worden. Auf Nachfrage der Klägerin teilte der Zulassungsausschuss im Übrigen mit, eine gesonderte Entscheidung über die Sitzverlegung sei nicht erforderlich gewesen, da sowohl zum Zeitpunkt der Antragstellung auf Sitzverlegung als auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassungsentziehung in R keine funktionsfähige Laborpraxis mehr bestanden habe.
- Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg. Der Berufungsausschuss lehnte den Sitzverlegungsantrag ab und entzog dem MVZ die Zulassung (Beschluss vom 19.11.2014; Bescheid vom 19.12.2014). Das MVZ habe seine vertragsärztliche Tätigkeit mindestens seit dem Quartal 4/2013 nicht mehr ausgeübt. Die Abrechnung von 5, 6 und 7 Fällen in den Quartalen 1/2014 bis 3/2014 stelle keine relevante Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit dar und sei darüber hinaus nur von einem der beiden Ärzte des MVZ erfolgt. Es sei daher auch länger als sechs Monate keine fachübergreifende Tätigkeit mehr ausgeübt worden. Die Anordnung des Ruhens der Zulassung als minderer Eingriff komme nicht in Betracht, da das MVZ die vertragsärztliche Tätigkeit an seinem Vertragsarztsitz in R nicht wieder aufnehmen wolle; die Absicht, diese zu irgendeiner Zeit an einem anderen Ort wieder aufzunehmen, reiche nicht aus. Dem Antrag auf Sitzverlegung habe nicht entsprochen werden können, da hierfür Voraussetzung sei, dass die ärztliche Tätigkeit noch im erforderlichen Umfang ausgeübt werde und nicht die Voraussetzungen für eine Zulassungsentziehung gegeben seien.
- Das SG hat den Bescheid vom 19.12.2014 (Beschluss vom 19.11.2014) aufgehoben und den Beklagten verurteilt, über den Verlegungsantrag der Klägerin erneut zu entscheiden (Urteil vom 10.1.2018). Die Zulassungsentziehung sei unverhältnismäßig, da die Voraussetzungen für die Anordnung des Ruhens des Verfahrens – zunächst für die Zeit der Entscheidung über den Verlegungsantrag – vorgelegen hätten. Die Ruhensanordnung setze lediglich voraus, dass die Aufnahme der Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten sei. Dass dies in jedem Fall am bisherigen Vertragsarztsitz zu erfolgen habe, verlange das Gesetz nicht. Mit der Zulassung sei vielmehr das Recht des Vertragsarztes verbunden, eine Verlegung des Vertragsarztsitzes zu erwirken. Auch sehe das Gesetz keinen Katalog zulässiger Gründe für ein Ruhen der Zulassung vor.
- Auf die Berufung des Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 18.11.2020). Der Beklagte habe der Klägerin die Zulassung entziehen dürfen, da diese ihre vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt habe und darüber hinaus die Gründungsvoraussetzungen des MVZ über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten weggefallen seien. Die Zulassungsentziehung sei auch nicht aus dem Grunde rechtswidrig, weil als milderes Mittel ein Ruhen der Zulassung ausreichend und daher vorrangig auszusprechen gewesen wäre. Für die insoweit erforderliche positive Prognoseentscheidung, die Klägerin werde ihre vertragsärztliche Tätigkeit in naher Zukunft wiederaufnehmen, habe es im hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung auch unter Berücksichtigung des Sitzverlegungsantrags an jeglicher Tatsachengrundlage gefehlt. Der Antrag sei offensichtlich als Reaktion auf die Ankündigung der Zulassungsentziehung gestellt worden, sodass sich gesteigerte Anforderungen an die Plausibilität, Schlüssigkeit und Überzeugungskraft der klägerischen Darlegungen ergäben. Die wenigen konkreten Angaben der Klägerin, die der Beklagte seinerzeit seiner Prognoseentscheidung hätte zugrunde legen können, erschienen wenig überzeugend. Insbesondere seien von der Klägerin bis zur Entscheidung des Beklagten keine bestätigenden Nachweise wie zB Mietverträge zu den Akten gereicht worden. Die Ablehnung des Antrags auf Sitzverlegung sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Dieser habe sich mit der Entziehung der Zulassung erledigt.
- Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 27 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV), § 95 Abs 5 Satz 1 SGB V, § 24 Abs 7 Satz 1 Ärzte-ZV sowie § 103 Satz 1 SGG und § 95 in Verbindung mit § 128 SGG.
- Das LSG habe die Voraussetzungen für die Genehmigung eines Sitzverlegungsantrags nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV verkannt. Stünden dem Verlegungsantrag – wie hier – keine planerischen, die Sicherstellung der Versorgung betreffenden Gründe entgegen, bestehe ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung. Kein solcher Grund sei der Umstand, dass der Klägerin in nicht bestandskräftiger Weise die Zulassung entzogen worden sei oder (vermeintlich) ein Zulassungsentziehungsgrund existiere. Vielmehr sei nach der Rechtsprechung des BSG zwischen diesen beiden Verfahren zu differenzieren (Hinweis auf BSG Urteil vom 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R – BSGE 86, 121 = SozR 3-5520 § 24 Nr 4 = juris RdNr 27).
- Ferner habe das LSG das Tatbestandsmerkmal der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit (§ 95 Abs 6 Satz 1 iVm § 27 Satz 1 Ärzte-ZV) fehlerhaft ausgelegt. Der von der Rechtsprechung für die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit verlangte Wille zur kontinuierlichen Teilnahme an der Versorgung (Hinweis auf BSG Urteil vom 19.12.1984 – 6 RKa 34/83 – USK 84272 = juris RdNr 10) könne auch durch die Wahrnehmung vertragsärztlicher Rechte (Verlegungsantrag) bzw durch faktisches Verhalten dokumentiert werden. Bei Zweifeln an der Plausibilität, Schlüssigkeit oder Glaubhaftigkeit des Antrags hätte der Beklagte den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln müssen. Dem MVZ der Klägerin könne auch nicht der Charakter einer fachübergreifenden Einrichtung abgesprochen werden. Hierfür genüge es nach der Rechtsprechung des Senats, wenn für jedes Fachgebiet eine halbe Arztstelle zur Verfügung stehe, was gemäß § 51 Abs 1 der Bedarfsplanungs-Richtlinie bei einem Tätigkeitsumfang von zwölf Wochenstunden gegeben sei. Ein solcher Tätigkeitsumfang sei auch für die ärztliche Leitung des MVZ ausreichend. Zu Unrecht habe das LSG zudem im Rahmen der Prüfung, ob die Aufnahme der Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten sei, eine eigene Prognoseentscheidung getroffen, obgleich dem Beklagten diesbezüglich ein Beurteilungsspielraum zukomme. Indem das Berufungsgericht bei der Prognoseentscheidung nur den zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung bekannten Sachvortrag und Akteninhalt zugrunde gelegt habe, habe es zugleich den Amtsermittlungsgrundsatz verletzt (§ 103 Satz 1 SGG). Des Weiteren habe das LSG den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 iVm § 128 SGG) verletzt, soweit es Zweifel an der Plausibilität, Schlüssigkeit und Überzeugungskraft des gestellten Sitzverlegungsantrags geäußert hat. Damit habe die Klägerin nicht rechnen müssen, nachdem die Ernsthaftigkeit des Antrags zwischen den Beteiligten zu keinem Zeitpunkt streitig gewesen sei.
- Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 18.11.2020 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Schwerin vom 10.1.2018 zurückzuweisen. - Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen. - Er hält die Entscheidung des LSG im Ergebnis für zutreffend. Zum Zeitpunkt der Stellung des Verlegungsantrags sei das MVZ jedenfalls bereits acht Monate nicht mehr fachübergreifend tätig gewesen. Dem MVZ sei daher wegen Wegfall der Gründungsvoraussetzungen die Zulassung zu entziehen gewesen, ohne dass den Zulassungsgremien ein Beurteilungsspielraum zugestanden habe. Dem hätte die Klägerin nur durch einen vor Ablauf der sechs Monate gestellten Antrag auf Anordnung des Ruhens begegnen können, was jedoch nicht geschehen sei.
Entscheidungsgründe - Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Zu Unrecht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen.
- A. Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Voraussetzungen für eine Entziehung der Zulassung lagen zum Zeitpunkt der – den alleinigen Streitgegenstand des Verfahrens bildenden (BSG Urteil vom 27.1.1993 – 6 RKa 40/91 – SozR 3-2500 § 96 Nr 1 = juris RdNr 13 ff; BSG Urteil vom 3.4.2019 – B 6 KA 4/18 R – BSGE 128, 26 = SozR 4-2500 § 95 Nr 36, RdNr 17, vgl dort auch RdNr 35 mwN zum maßgeblichen Zeitpunkt) – Entscheidung des Beklagten nicht vor (dazu 1.). Der Beklagte wird zudem in der Sache über den Verlegungsantrag der Klägerin zu entscheiden haben (dazu 2.).
- 1. Gemäß § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V ist die Zulassung zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Dieser Tatbestand gilt gleichermaßen für alle zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer; er gilt auch für ein MVZ, wie sich generell aus der Verweisung des § 72 Abs 1 Satz 2 SGB V und speziell aus dem Verhältnis des § 95 Abs 6 zu dessen Abs 1 SGB V ergibt (BSG Urteil vom 21.3.2012 – B 6 KA 22/11 R – BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 22). Einem MVZ war darüber hinaus nach § 95 Abs 6 Satz 3 SGB V in der bis zum 22.7.2015 noch geltenden und daher hier einschlägigen Fassung des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes (GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl I 2983, mWv 1.1.2012; im Folgenden: alte Fassung – aF) die Zulassung auch dann zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzungen des § 95 Abs 1 Satz 4 und 5 SGB V aF länger als sechs Monate nicht mehr vorlagen, es also länger als sechs Monate nicht fachübergreifend – dh mit Ärzten verschiedener Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen – tätig war (zur Streichung des Begriffs „fachübergreifend“ in § 95 Abs 1 Satz 2 SGB V sowie der Sätze 4 und 5 mWv 23.7.2015 vglArt 1 Nr 41 Buchst a sowie Art 20 Abs 1 GKV-Versorgungsstärkungsgesetz <GKV-VSG> vom 16.7.2015, BGBl I 1211). Der Erhalt des fachübergreifenden Charakters setzte voraus, dass für jedes der Fachgebiete mindestens eine halbe Arztstelle zur Verfügung stand (BSG Urteil vom 19.10.2011 – B 6 KA 23/11 R – BSGE 109, 182 = SozR 4-2500 § 103 Nr 8, RdNr 16). Hierfür war es ausreichend, wenn die Ärzte mit einem Wochenstundenumfang beschäftigt waren, der nach der Bedarfsplanungs-Richtlinie einem Anrechnungsfaktor von 0,5 entspricht (über 10 bis 20 Wochenstunden, vgl § 51 Abs 1 Satz 4 Bedarfsplanungs-Richtlinie). Weitergehende Anforderungen hinsichtlich des Tätigkeitsumfangs konnten bei einem solchen MVZ auch an den ärztlichen Leiter nicht gestellt werden (vgl auch BSG Urteil vom 14.12.2011 – B 6 KA 33/10 R – MedR 2012, 695 = juris RdNr 20 sowie Clemens in Schallen, Zulassungsverordnung, 9. Aufl 2018, § 27 RdNr 71).
- Vorliegend hat das MVZ der Klägerin zwar zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung des Beklagten am 19.11.2014 die vertragsärztliche Tätigkeit nicht mehr ausgeübt (dazu a). Damit fehlte es zugleich an einer fachübergreifenden Tätigkeit (dazu b), während eine gröbliche Pflichtverletzung nicht vorlag (dazu c). Die Entziehung der Zulassung war jedoch vor dem Hintergrund der beabsichtigten Sitzverlegung nicht verhältnismäßig (dazu d).
- a) Der Tatbestand der Entziehung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung greift immer dann, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit tatsächlich nicht mehr ausgeübt wird, unabhängig davon, ob der zuständige Landesausschuss für das betreffende Gebiet Über- oder Unterversorgung festgestellt hat (BSG Beschluss vom 10.5.2017 – B 6 KA 8/17 B – juris RdNr 7).
- aa) Übt ein Vertragsarzt nur noch einzelne Maßnahmen der Versorgung aus oder nimmt er nur noch in geringem Umfang Verrichtungen vor, ist zu prüfen, ob er die Gesamtheit seiner Pflichten noch im Wesentlichen erfüllt (vgl BSG Urteil vom 19.12.1984 – 6 RKa 34/83 – USK 84272 = juris RdNr 10 noch zu § 368a Abs 6 RVO). Entsprechendes gilt für die Tätigkeit eines MVZ. Anhaltspunkte hierfür geben – insbesondere bei Facharztgruppen, die wie hier die Labormediziner keine Sprechstunden abhalten müssen – die tatsächlichen Behandlungsfallzahlen. Ohne dass es insoweit auf eine exakte Grenzziehung ankäme (für eine Nichtausübung bei einer Fallmenge pro Quartal unter 10 vH des Fachgruppendurchschnitts vgl etwa LSG Baden-Württemberg Urteil vom 20.10.2010 – L 5 KA 2155/09 – juris RdNr 38; Hessisches LSG Urteil vom 30.11.2016 – L 4 KA 29/16 – juris RdNr 38; Bayerisches LSG Urteil vom 22.1.2020 – L 12 KA 6/19 – juris RdNr 73; SG München Urteil vom 2.10.2018 – S 38 KA 58/18 – juris RdNr 13), besteht jedenfalls kein Zweifel, dass bei Laborleistungen des gesamten MVZ im Umfang von 0, 5, 7 und 6 Fällen pro Quartal ab dem Quartal 4/2013 keine Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch das MVZ in einem nennenswerten und für die Versorgung der Versicherten relevanten Umfang vorliegt.
- bb) Einer Nichtausübung steht nicht entgegen, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten einen Sitzverlegungsantrag gestellt hatte. Soweit der Senat entschieden hat, dass von einer kassenärztlichen Tätigkeit dann nicht mehr gesprochen werden kann, wenn der Arzt nicht mehr den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung habe (BSG Urteil vom 19.12.1984 – 6 RKa 34/83 – USK 84272 = juris RdNr 10 noch zu § 368a Abs 6 RVO), kann hieraus nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass allein der Wille, weiterhin kontinuierlich vertragsärztlich tätig zu sein, ausreichend sei, auch wenn die bisherige Tätigkeit eingestellt wurde und einer geplanten Wiederaufnahme tatsächliche oder – wie hier – rechtliche Hindernisse entgegenstehen (vgl auch LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 9.12.2009 – L 3 KA 117/08 – juris RdNr 38: „Wille“ trotz tatsächlicher völliger Untätigkeit unbeachtlich). Es muss sich nicht nur ein entsprechender Wille nach außen manifestieren (vgl Ladurner, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2017, § 26 RdNr 12, § 27 RdNr 18), er muss auch in zulässiger Weise umgesetzt werden können, woran es hier mangels Genehmigung der Sitzverlegung fehlt. Der Grund für die Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit spielt nur insoweit eine Rolle, als er Hinweise darauf geben kann, ob die Wiederaufnahme der Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten ist (vgl hierzu sogleich RdNr 26 ff), ansonsten ist der Ruhensgrund unerheblich (Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 4. Aufl 2021, RdNr 1518 f; Ladurner, aaO, § 26 RdNr 6, 14; ähnlich Pawlita in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 95 RdNr 1030, Stand 5.6.2023; enger Meschke in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2008, § 26 RdNr 20).
- b) Durch die Nichtausübung der Tätigkeit fehlte es zugleich an einer fachübergreifenden Tätigkeit des MVZ im Sinne des § 95 Abs 1 Satz 4 und 5 SGB V aF. Darüber hinaus hatte das MVZ bereits im Quartal 3/2013 nur noch Behandlungsfälle des Facharztes für Laboratoriumsmedizin bzw für Pharmakologie und Toxikologie J abgerechnet. Zu Recht verweist der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid darauf, dass es insofern nicht darauf ankommt, ob die Beschäftigungsverhältnisse der angestellten Ärzte fortbestanden haben. § 95 Abs 1 Satz 4 SGB V aF verlangte schon nach seinem Wortlaut, dass im MVZ Ärzte mit verschiedenen Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen „tätig“ sind. Auch Sinn und Zweck der Regelung, dem Versicherten im MVZ eine Versorgung „aus einer Hand“ anzubieten (vgl Entwurf eines GKV-Modernisierungsgesetzes <GMG>, BT-Drucks 15/1525 S 108 Zu Nr 74 <§ 95> zu Buchst a; vgl auch Entwurf eines Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes <VÄndG>, BT-Drucks 16/2474 S 21 Zu Nr 5 <§ 95> zu Buchst a), spricht dafür, dass es nicht allein darauf ankommen kann, dass Arbeits- oder Dienstverträge mit verschiedene Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnungen führenden Ärzten bestehen, auch wenn die Ärzte keine Leistungen erbringen. War vorübergehend kein Arzt mit einer weiteren Facharzt- oder Schwerpunktbezeichnung im MVZ tätig, hatte das MVZ sechs Monate Zeit (§ 95 Abs 6 Satz 3 SGB V aF; vgl auch BT-Drucks 17/8005 S 111), um einen Ersatz oder – etwa bei einem erkrankten Arzt – einen Vertreter nach § 32 Abs 1 Satz 2 Ärzte-ZV (für angestellte Ärzte iVm § 32b Abs 6 Satz 1 Ärzte-ZV) zu finden. Diese Schonfrist (vgl hierzu auch RdNr 38) war hier zum Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten bereits abgelaufen.
- c) Dem MVZ kann, auch wenn sein Verhalten zu beanstanden ist, nicht zugleich eine gröbliche Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Von einer gröblichen Pflichtverletzung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG wie auch des BSG auszugehen, wenn die gesetzliche Ordnung der vertragsärztlichen Versorgung durch das Verhalten des Arztes in erheblichem Maße verletzt wird und das Vertrauensverhältnis zu den vertragsärztlichen Institutionen tiefgreifend und nachhaltig gestört ist, sodass ihnen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Vertragsarzt nicht mehr zugemutet werden kann (BSG Urteil vom 3.4.2019 – B 6 KA 4/18 R – BSGE 128, 26 = SozR 4-2500 § 95 Nr 36, RdNr 28 mwN; BVerfG Beschluss vom 26.9.2016 – 1 BvR 1326/15 – juris RdNr 40 mwN; BVerfG Beschluss vom 28.3.1985 – 1 BvR 1245/84, 1254/84 – BVerfGE 69, 233, 244 = SozR 2200 § 368a Nr 12 S 30 = juris RdNr 27).
- Das MVZ der Klägerin hat hier zwar seine vertragsärztlichen Pflichten verletzt, eine gröbliche Pflichtverletzung im Sinne des § 95 Abs 6 Satz 1 letzte Alternative SGB V ist jedoch auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des LSG zu verneinen. Die Klägerin hätte zunächst die vertragsärztliche Tätigkeit in dem von ihr betriebenen MVZ nicht einstellen dürfen, bevor die Frage der Fortsetzung der Tätigkeit an dem neuen Standort in G geklärt war (aA Pawlita in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 95 RdNr 1115, Stand 5.6.2023, der darin allein den Entziehungstatbestand der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit sieht). Grundsätzlich kann von Vertragsärzten bzw MVZ, die ihren Sitz verlegen wollen, erwartet werden, dass sie die Versorgung der Versicherten am alten Standort nicht vorzeitig beenden. Ferner ist die Klägerin ihren Mitteilungspflichten nach § 26 Abs 2 Ärzte-ZV (vgl auch § 17 Abs 3 Satz 1 BMV-Ä: Mitteilungspflicht bei einer Verhinderung von mehr als einer Woche und dazu Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 4. Aufl 2021, RdNr 1512; Meschke in Bäune/Meschke/Rothfuß, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2008, § 26 RdNr 37) nicht nachgekommen, da sie es versäumt hat, spätestens bei Leerzug der Praxis in R einen Ruhensantrag zu stellen oder zumindest dem Zulassungsausschuss die entsprechenden Tatsachen mitzuteilen. Dieses Verhalten, das einen einzigen Vorfall betrifft (zu leichteren, aber wiederholten Verletzungen vgl dagegen BSG Urteil vom 8.7.1980 – 6 RKa 10/78 – juris RdNr 20), rechtfertigt für sich allein noch keine Zulassungsentziehung (aA wohl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.3.2006 – L 5 KA 3995/04 – juris RdNr 34; dazu, dass eine Verletzung der Anzeigepflicht allein keine gröbliche Pflichtverletzung darstellt, vgl auch BSG Urteil vom 21.3.2012 – B 6 KA 22/11 R – BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 45). Insoweit ist auch den gesetzlichen Regelungen zu Sonderformen der Zulassungsentziehung aufgrund gröblicher Pflichtverletzung ein abgestuftes Vorgehen zu entnehmen. So sieht § 95d SGB V zur Zulassungsentziehung bei Verletzung der Pflicht zur fachlichen Fortbildung zunächst Honorarkürzungen vor (Abs 3 Satz 3); erst wenn der Vertragsarzt auch innerhalb von zwei Jahren nach Ablauf des Fünfjahreszeitraumes, in dem der Fortbildungsnachweis zu erbringen ist, diesen Nachweis nicht nachholt, soll die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) einen Antrag auf Entziehung der Zulassung stellen (Abs 3 Satz 6). Auch wenn ein Vertragsarzt jetzt gegen das mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 6.5.2019 (BGBl I 646) eingeführte Gebot verstößt, eine Mindestanzahl von Sprechstunden anzubieten (vgl § 19a Abs 1 Satz 2 ff Ärzte-ZV idF des TSVG), kann dies nur bei einem wiederholten oder fortgesetzten Verstoß zu einer teilweisen oder vollständigen Zulassungsentziehung führen; vorab ist der Vertragsarzt zu belehren (zu den Einzelheiten vgl § 19a Abs 4 Satz 2 ff Ärzte-ZV idF des TSVG). Diese Wertungen des Gesetzgebers können auch zur Beurteilung herangezogen werden, ob andere Pflichtverletzungen als gröblich anzusehen sind.
- d) Der beklagte Berufungsausschuss war unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gehalten, als mildere Maßnahme das Ruhen der Zulassung anzuordnen. Das Ruhen der Zulassung kann nach § 95 Abs 5 SGB V iVm § 26 Ärzte-ZV angeordnet werden, wenn der Vertragsarzt bzw das MVZ die Tätigkeit eine Zeit lang nicht ausüben kann. Voraussetzung ist, dass die Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten ist und dem Ruhen Gründe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung nicht entgegenstehen (dazu aa). Nicht erforderlich ist dagegen, dass die Wiederaufnahme am alten Vertragsarztsitz (§ 95 Abs 1 Satz 7 SGB V aF, jetzt Satz 5) erfolgen soll. Wird ein Sitzverlegungsantrag gestellt, der nicht von vorneherein ohne Aussicht auf Erfolg ist, muss dieser in die zu treffende Prognoseentscheidung einbezogen werden (dazu bb). Dabei steht der Ruhensanordnung nicht entgegen, dass das MVZ seine Tätigkeit am alten Standort bereits eingestellt hatte, als es die Genehmigung beantragt hat, den Vertragsarztsitz nach G zu verlegen. Die Verlegung des Vertragsarztsitzes setzt nicht voraus, dass bei Antragstellung noch ein Praxissubstrat vorhanden ist (dazu cc). Ein Ruhen der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung kann auch dann angeordnet werden, wenn ein MVZ aufgrund der Nichtausübung der Tätigkeit mehr als sechs Monate nicht fachübergreifend tätig war (dazu dd). Schließlich kann der Klägerin nicht vorgehalten werden, dass sie den von ihr gestellten Sitzverlegungsantrag nicht bis zur Entscheidung des Beklagten mit bestätigenden Nachweisen glaubhaft gemacht hat (dazu ee). Demgemäß steht der Prognoseentscheidung in Bezug auf die Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit in angemessener Frist für das MVZ der Klägerin nichts entgegen. Die Zulassungsentziehung war rechtswidrig, da der Beklagte zunächst das Ruhen der Zulassung hätte anordnen müssen (dazu ff).
- aa) Im Falle der Nichtaufnahme bzw Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit ist stets vorrangig vor einer Zulassungsentziehung zu prüfen, ob ein bloßes Ruhen der Zulassung nach § 95 Abs 5 SGB V iVm § 26 Ärzte-ZV in Betracht kommt, da die (Wieder-)Aufnahme der Tätigkeit in angemessener Frist zu erwarten ist.
- Was als angemessene Frist im Sinne des § 95 Abs 5 Satz 1 SGB V anzusehen ist, kann nicht starr festgelegt werden, sondern beurteilt sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls (BSG Beschluss vom 17.8.2011 – B 6 KA 18/11 B – juris RdNr 13). Erforderlich ist eine Prognoseentscheidung, die gerichtlich voll überprüfbar ist (vgl Hessisches LSG Urteil vom 15.3.2006 – L 4 KA 29/05 – juris RdNr 20; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 9.12.2009 – L 3 KA 117/08 – juris RdNr 36; Ladurner, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2017, § 26 RdNr 17, vgl auch § 27 RdNr 20; Pawlita in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, RdNr 1039 mwN, Stand 5.6.2023).
- Soweit § 26 Abs 1 Ärzte-ZV (hier noch in der Fassung des VÄndG vom 22.12.2006, BGBl I 3439, mWv 1.1.2007) darüber hinaus verlangt, dass Gründe der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung der Anordnung des Ruhens nicht entgegenstehen (BSG Beschluss vom 17.8.2011, aaO; kritisch hierzu im Hinblick auf die Ermächtigungsgrundlage: Clemens in Schallen, Zulassungsverordnung, 9. Aufl 2018, § 26 RdNr 27 sowie Rademacker in Kasseler Kommentar, SGB V, Stand Dezember 2022, § 95 RdNr 21), ist das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Versorgung sowie die Berufsfreiheit weiterer Bewerber einerseits mit der grundrechtlich geschützten Position des betroffenen Vertragsarztes abzuwägen (Hessisches LSG Urteil vom 15.3.2006, aaO; Ladurner, aaO, § 26 RdNr 19; ähnlich Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 4. Aufl 2021, RdNr 1527; etwas enger Pawlita in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, § 95 RdNr 1038, Stand 5.6.2023).
- bb) Dabei steht einer positiven Prognoseentscheidung nicht entgegen, dass das MVZ seine vertragsärztliche Tätigkeit nicht an seinem alten Standort fortsetzen, sondern nach G verlegen will.
- Auf die Genehmigung einer Sitzverlegung besteht grundsätzlich ein Anspruch, soweit Gründe der vertragsärztlichen Versorgung dem nicht entgegenstehen (§ 24 Abs 7 Ärzte-ZV; dazu BSG Urteil vom 3.8.2016 – B 6 KA 31/15 R – BSGE 122, 35 = SozR 4-5520 § 24 Nr 13, RdNr 14 ff). Dabei ist eine Verlegung der Praxis sowohl für den Vertragsarzt als auch für ein MVZ möglich (BSG Urteil vom 23.3.2011 – B 6 KA 8/10 R – SozR 4-2500 § 103 Nr 7 RdNr 24). Bei dem insofern für eine Praxisverlegung maßgeblichen Tatbestandsmerkmal „Gründe der vertragsärztlichen Versorgung“ sind allein planerische, die Sicherstellung der Patientenversorgung betreffende Umstände zu prüfen (BSG Urteil vom 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R – BSGE 86, 121, 126 = SozR 3-5520 § 24 Nr 4 S 19 = juris RdNr 28), wofür den Zulassungsgremien ein gerichtlicher Kontrolle nur eingeschränkt zugänglicher Beurteilungsspielraum zusteht (BSG Urteil vom 3.8.2016, aaO, RdNr 21 ff). Aber selbst wenn die Zulassungsgremien zu dem Ergebnis kommen, dass von der beabsichtigten Verlegung nachteilige Auswirkungen für die Versorgung der Versicherten zu besorgen sind, führt dies noch nicht per se zur Ablehnung der Genehmigung. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Gründe des Arztes für den Verlegungswunsch derart gewichtig sind, dass die grundsätzlich vorrangigen Gesichtspunkte der vertragsärztlichen Versorgung ausnahmsweise zurückzutreten haben, was von den Gerichten im vollem Umfang überprüfbar ist (vgl BSG Urteil vom 3.8.2016, aaO, RdNr 25; vgl auch Dorra/Stellpflug, MedR 2015, 239, 243 f).
- Vor diesem Hintergrund kommt einem Sitzverlegungsantrag nur dann von vorneherein keine Bedeutung im Rahmen der Prognoseentscheidung zu, wenn dieser offensichtlich keinen Erfolg haben kann, etwa weil – anders als hier – eine Verlegung in einen gesperrten Planungsbereich begehrt wird (vgl BSG Urteil vom 28.6.2000 – B 6 KA 27/99 R – MedR 2001, 265 = juris RdNr 18; BSG Urteil vom 3.8.2016, aaO, RdNr 19). Im Übrigen haben die Zulassungsgremien den Umstand, dass die vertragsärztliche Tätigkeit an einem anderen Standort wiederaufgenommen werden soll – unter Berücksichtigung des Zeitraums, den sie selbst für eine Entscheidung über den Sitzverlegungsantrag einschließlich eventueller Ermittlungen zu den versorgungsrechtlichen Aspekten benötigen (zur Erteilung der Genehmigung lediglich für die Zukunft vgl etwa BSG Urteil vom 31.5.2006 – B 6 KA 7/05 R – SozR 4-5520 § 24 Nr 2) – ebenso wie alle anderen Umstände, die für oder gegen eine zeitnahe Aufnahme der Tätigkeit sprechen, in die Prognoseentscheidung einzustellen. Dies ist hier nach den aufgezeigten Maßstäben nicht geschehen.
- cc) Es kann dahinstehen, ob zu dem Zeitpunkt, als die Klägerin den Antrag auf Sitzverlegung gestellt hat, bezogen auf das MVZ noch ein hinreichendes Praxissubstrat vorhanden war. Dies ist – anders als der Beklagte meint – keine Voraussetzung für die Genehmigung der Verlegung eines Vertragsarztsitzes. Die Gründe, die den Senat bewogen haben, im Rahmen der Praxisnachfolge das Vorliegen einer fortführungsfähigen Praxis zu verlangen, sind nicht auf die Sitzverlegung übertragbar (dazu <1>). Erforderlich ist lediglich eine Abgrenzung zur Auflösung eines MVZ, wofür hier jedoch keine Anhaltspunkte vorliegen (dazu <2>).
- (1) Nach der stRspr des Senats ist grundlegende Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens (§ 103 Abs 3a und 4 SGB V) stets das Bestehen einer objektiv fortführungsfähigen Praxis – eines noch vorhandenen Praxissubstrats -, weil ansonsten für ein Nachbesetzungsverfahren die innere Rechtfertigung fehlt (BSG Urteil vom 27.6.2018 – B 6 KA 46/17 R – BSGE 126, 96 = SozR 4-2500 § 103 Nr 25, RdNr 25 f mwN; BSG Urteil vom 24.10.2018 – B 6 KA 28/17 R – SozR 4-2500 § 87b Nr 18 RdNr 24; BSG Urteil vom 30.10.2019 – B 6 KA 14/18 R – SozR 4-2500 § 103 Nr 28). Wenn der Gesetzgeber, obwohl der betreffende Planungsbereich für die jeweilige Arztgruppe wegen Überversorgung gesperrt ist, es mit den in § 103 Abs 3a und 4 SGB V getroffenen Regelungen zulässt, dass ein bestehender – für die Versorgung nicht erforderlicher – Vertragsarztsitz nachbesetzt werden kann, berücksichtigt er die finanziellen Interessen des bisherigen Praxisinhabers bzw seiner Erben an der Veräußerung der Arztpraxis, die ohne Zulassung des Erwerbers regelmäßig nicht möglich ist. Wo keine Praxis mehr existiert, kann jedoch auch keine Nachbesetzung des ihr zugeordneten Vertragsarztsitzes mehr stattfinden. Diese würde ansonsten lediglich der Kommerzialisierung des Vertragsarztsitzes dienen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt ist (vgl BSG Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 49/12 R – BSGE 115, 57 = SozR 4-2500 § 103 Nr 13, RdNr 34; BSG Urteil vom 27.6.2018, aaO, RdNr 27 jeweils mwN).
- Eine vergleichbare Interessenlage besteht bei der Verlegung eines Vertragsarztsitzes nicht. Es geht hier schon nicht darum, dass – wie der Wortlaut der Vorschrift verlangt – die Praxis „weitergeführt werden soll“ (§ 103 Abs 3a Satz 1 SGB V), was eine weitestmögliche Kontinuität des Praxisbetriebs impliziert (vgl BSG Urteil vom 19.10.2011 – B 6 KA 23/11 R – BSGE 109, 182 = SozR 4-2500 § 103 Nr 8, RdNr 21 sowie BSG Urteil vom 20.3.2013 – B 6 KA 19/12 R – SozR 4-2500 § 103 Nr 12 RdNr 31, 34 noch zu § 103 Abs 4 Satz 1 SGB V idF des GSG; zur Übernahme des oder eines Teils des Patientenstamms vgl auch BSG Urteil vom 24.10.2018, aaO; BSG Urteil vom 29.9.1999 – B 6 KA 1/99 R – BSGE 85, 1 = SozR 3-2500 § 103 Nr 5 = juris RdNr 39). So hat der Senat eine Heranziehung dieser Rechtsprechung in Bezug auf die Nachbesetzung einer Arztstelle im MVZ nach § 103 Abs 4a Satz 5 SGB V abgelehnt, da eine „Nach“besetzung begrifflich dem vorherigen Praxisbetrieb nicht so eng verbunden ist, wie dies bei einer Praxis“fortführung“ der Fall ist (BSG Urteil vom 19.10.2011, aaO). Dies gilt erst recht für eine Sitzverlegung, welche zwangsläufig die Einstellung der Tätigkeit am alten Sitz und den Aufbau einer neuen Praxisinfrastruktur am gewählten Standort erfordert.
- Dementsprechend hat der Senat in früheren Entscheidungen zur Verlegung des Vertragsarztsitzes nicht geprüft, ob an der früheren Praxisanschrift noch ein Praxissubstrat vorhanden war. Vielmehr hat er, auch wenn der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vertragsarztes die Vermögensgegenstände der Praxis veräußert hatte und die Praxisräume mittlerweile anderweitig vermietet waren, die Genehmigung eines Verlegungsantrags noch für möglich gehalten (vgl BSG Urteil vom 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R – BSGE 86, 121 = SozR 3-5520 § 24 Nr 4; vgl auch Bayerisches LSG Urteil vom 11.7.1984 – L 12 KA 20/84 – Breith 1985, 9: kein Vorhalten von Praxisräumen während des Ruhens).
- Soweit der Beklagte meint, eine Sitzverlegung käme dann nicht mehr in Betracht, wenn die Voraussetzungen für eine Zulassungsentziehung gegeben seien, widerspricht dies der Senatsrechtsprechung, wonach zwischen den Verfahren der Verlegung einerseits und der Zulassung und Zulassungsentziehung andererseits zu unterscheiden ist und Zulassungsentziehungsgründe wie etwa Eignungsmängel des Vertragsarztes im Rahmen eines Verlegungsantrags (§ 24 Abs 4 Ärzte-ZV aF, jetzt Abs 7) nicht zu berücksichtigen sind (BSG Urteil vom 10.5.2000 – B 6 KA 67/98 R – BSGE 86, 121, 125 = SozR 3-5520 § 24 Nr 4 S 18 = juris RdNr 27). Erst eine rechtskräftige Zulassungsentziehung – die hier nicht vorliegt – führt daher dazu, dass sich ein Verlegungsantrag erledigt und nicht mehr zu bescheiden ist.
- (2) Allerdings ist eine Verlegung des Sitzes eines MVZ dann nicht mehr möglich, wenn die Zulassung des MVZ bereits infolge der vollständigen und dauerhaften Einstellung des Praxisbetriebs geendet hat. Gemäß § 95 Abs 7 Satz 2 SGB V endet die Zulassung eines MVZ ua mit der Auflösung des MVZ. Eine „Auflösung“ des MVZ im vertragsarztrechtlichen Sinne tritt ein, wenn die vertragsärztliche Tätigkeit im MVZ vollständig und dauerhaft eingestellt und das Unternehmen nicht mehr zur Erfüllung des Versorgungsauftrags genutzt wird. Dabei ist die Auflösung des MVZ abzugrenzen von der Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit (§ 95 Abs 6 Satz 1 SGB V), die nicht automatisch zur Beendigung der Zulassung führt, sondern den Zulassungsausschuss lediglich zur Entziehung der Zulassung verpflichtet. Kriterien für die Auflösung der MVZ sind deshalb vor allem die Vollständigkeit und Endgültigkeit der Beendigung der Teilnahme an der Versorgung der Versicherten. Insofern hat der Senat es als Indizien für eine Auflösung angesehen, dass alle Arbeitsverhältnisse der im MVZ tätigen Ärzte gekündigt, die gemieteten Räume an den Vermieter zurückgegeben worden waren und die ärztliche Tätigkeit vollständig eingestellt worden war (vgl BSG Urteil vom 11.10.2017 – B 6 KA 27/16 R – BSGE 124, 205 = SozR 4-2500 § 95 Nr 32, RdNr 36, zur Abgrenzung zum Wegzug vgl RdNr 33; vgl auch BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 22.3.2013 – 1 BvR 791/12 – juris RdNr 14 f). Soweit der Senat in diesem Zusammenhang auch darauf abgestellt hat, ob bezogen auf den bisherigen Standort eine Fortführungsabsicht besteht (BSG Urteil vom 11.10.2017, aaO), bedeutet dies nicht, dass die Tätigkeit des MVZ nicht auch – nach Genehmigung eines entsprechenden Verlegungsantrags – an einem anderen Standort fortgeführt werden könnte. Ein Verlegungsantrag war von der damaligen Klägerin nicht gestellt worden, sodass Beurteilungsmaßstab allein die ärztliche Tätigkeit am Sitz des MVZ sein konnte. Auch führt allein die fehlende Absicht, die Versorgung der Versicherten am bisherigen Standort fortzusetzen, noch nicht zur vollständigen und dauerhaften Einstellung der Tätigkeit des MVZ, wenn – wie hier – die Arbeitsverträge mit den angestellten Ärzten ungekündigt sind und das Unternehmen lediglich seinen Sitz an einen anderen Ort innerhalb des Planungsbereichs verlegen will (vgl hierzu auch Gerdts in Festschrift 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im Deutschen Anwaltverein, 2018, 3, 8 f). Im Übrigen hatte die Klägerin auch im Jahr 2014 noch Zugriff auf die alten Praxisräume.
- dd) Der Anordnung des Ruhens der Zulassung des MVZ steht nicht entgegen, dass das MVZ zum Zeitpunkt der Stellung des Sitzverlegungsantrags bereits mehr als sechs Monate nicht fachübergreifend tätig war. Die Sechs-Monats-Frist des § 95 Abs 6 Satz 3 SGB V aF soll gewährleisten, dass auch bei einem Wegfall der Gründungsvoraussetzungen der Betrieb des MVZ zunächst einmal weiterlaufen kann und dem MVZ die Gelegenheit geben, die Voraussetzungen wiederherzustellen, ohne dass eine Zulassungsentziehung droht (vgl BT-Drucks 17/8005 S 111). Insofern privilegiert diese Frist MVZ und stellt eine Schonfrist dar (vgl Ladurner, Ärzte-ZV, Zahnärzte-ZV, 2017, § 27 RdNr 58; Clemens in Schallen, Zulassungsverordnung, 9. Aufl 2018, § 27 RdNr 73). Darüber hinaus gelten aber keine anderen Regeln als bei den übrigen Zulassungsentziehungsgründen. Auch hier kommt es somit für die Beurteilung, ob es gerechtfertigt ist, die Zulassung zu entziehen, auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung an.
- Soweit der Beklagte meint, er sei aufgrund des Wortlauts des § 95 Abs 6 Satz 3 SGB V aF „ist … zu entziehen“ gezwungen, die Zulassung des MVZ ohne Prüfung eines milderen Mittels zu entziehen, wenn sechs Monate lang die Gründungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind, trifft dies nicht zu. Auch in § 95 Abs 6 Satz 1 SGB V, auf den Satz 3 mit der Wendung „auch“ Bezug nimmt, heißt es „ist … zu entziehen“. Dennoch ist aus Gründen der Verhältnismäßigkeit stets zu prüfen, ob ein milderes Mittel als die Zulassungsentziehung in Betracht kommt (zur Zulassungsentziehung nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vgl etwa BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 22.3.2013 – 1 BvR 791/12 – MedR 2013, 664 = juris RdNr 17 mwN; zu Pflichtverletzungen, die länger als fünf Jahre zurückliegen, vgl auch BSG Urteil vom 19.7.2006 – B 6 KA 1/06 R – SozR 4-2500 § 95 Nr 12 RdNr 14; BSG Beschluss vom 2.4.2014 – B 6 KA 58/13 B – juris RdNr 11 mwN). Im Übrigen wäre es auch nicht nachvollziehbar, wenn das Entfallen der explizit in § 95 Abs 6 Satz 3 SGB V aF aufgeführten Zulassungsvoraussetzungen für das MVZ nach Ablauf von sechs Monaten zwingend zur Entziehung der Zulassung verpflichten würde, während dies bei anderen Gründungsvoraussetzungen, wie etwa der ärztlichen Leitung nach § 95 Abs 1 Satz 3 SGB V, deren Fehlen „nur“ zu einer Zulassungsentziehung gemäß § 95 Abs 6 Satz 1 zweite Alternative SGB V berechtigen (vgl Clemens in Schallen, Zulassungsverordnung, 9. Aufl 2018, § 27 RdNr 71; Scholz in Festschrift für Plagemann, 2020, 569, 574), nicht der Fall ist.
- Hätte der Gesetzgeber allein den Ablauf der Sechs-Monats-Frist ohne Wiederherstellung der Gründungsvoraussetzungen als ausreichend für einen Entfall der Zulassung angesehen, hätte es zudem nahegelegen, einen Wegfall der Zulassung kraft Gesetzes zu regeln, wie etwa bei der fehlenden Aufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit innerhalb von drei Monaten in einem von Zulassungsbeschränkungen betroffenen Planungsbereich (vgl § 95 Abs 7 SGB V idF des TSVG). Dies ist jedoch nicht geschehen.
- War das MVZ daher zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung wieder fachübergreifend besetzt oder war dies in angemessener Frist zu erwarten, wäre es mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, die Zulassung zu entziehen (aA wohl LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.3.2006 – L 5 KA 3995/04 – juris RdNr 27). Soweit der Senat in der Vergangenheit verlangt hat, dass rechtzeitig – vor Fristablauf – ein Ruhensantrag gestellt wurde (vgl BSG Urteil vom 13.5.2015 – B 6 KA 25/14 R – BSGE 119, 79 = SozR 4-5520 § 19 Nr 3, RdNr 30; BSG Beschluss vom 29.11.2006 – B 6 KA 35/06 B – RdNr 9 f, unveröffentlicht), bezog sich dies auf § 19 Abs 3 Ärzte-ZV, der einen Wegfall der Zulassung kraft Gesetzes regelte (zur Verfassungswidrigkeit einer solchen Regelung in der Form einer Rechtsverordnung vgl BVerfG stattgebender Kammerbeschluss vom 26.9.2016 – 1 BvR 1326/15 – SozR 4-5520 § 19 Nr 4; vgl jetzt § 95 Abs 7 Satz 1 SGB V idF TSVG). Es liegt auf der Hand, dass in so einem Fall mit Ablauf der Frist feststehen muss, ob die Zulassung fortbesteht oder nicht und eine einmal kraft Gesetzes erloschene Zulassung nicht rückwirkend wieder aufleben kann, etwa weil nachträglich Gründe bekannt werden, die es gerechtfertigt hätten, die Zulassung ruhen zu lassen. Auf die Zulassungsentziehungsgründe des § 95 Abs 6 SGB V ist dies nicht übertragbar.
- ee) Zu Unrecht hat das LSG eine positive Prognoseentscheidung auf der Grundlage des Sitzverlegungsantrags vom 5.3.2014 nicht für möglich gehalten, da die Klägerin ihre Absicht nicht durch geeigneten Tatsachenvortrag und die Vorlage entsprechender Nachweise gestützt habe. Insoweit das LSG aus dem zeitlichen Ablauf gefolgert hat, der Antrag sei „offensichtlich als Reaktion auf die Ankündigung eines Zulassungsentziehungsverfahrens gestellt worden“, aus dem Gesamtzusammenhang ergebe sich daher eine gesteigerte Anforderung an die Plausibilität, Schlüssigkeit und Überzeugungskraft der klägerischen Darstellungen und das Erfordernis, die behaupteten Planungen durch geeigneten und überprüfbaren Tatsachenvortrag zu unterfüttern bzw durch geeignete Dokumente zu unterstützen, hält dies einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
- Maßgebend ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage, nicht dagegen die Aktenlage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung des Beklagten (zum maßgeblichen Zeitpunkt vgl ausführlich BSG Urteil vom 17.10.2012 – B 6 KA 49/11 R – BSGE 112, 90 = SozR 4-2500 § 95 Nr 26, Leitsatz sowie RdNr 24 ff). Nach der Ärzte-ZV ist zudem lediglich ein Antrag auf Sitzverlegung und die Einzahlung der entsprechenden Gebühr erforderlich (vgl § 24 Abs 7; § 46 Abs 1 Satz 1 Buchst c Ärzte-ZV). Beiden Anforderungen ist die Klägerin nachgekommen. Gründe für die Sitzverlegung muss der Vertragsarzt bzw das MVZ von sich aus nicht mitteilen. Liegen aber nach Einschätzung der Zulassungsgremien – ggf nach Ermittlung von versorgungsrelevanten Umständen – Gründe vor, dass von der beabsichtigten Verlegung nachteilige Auswirkungen für die Versorgung der Versicherten zu besorgen sind, ist nach der Rechtsprechung des Senats in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob die Gründe des Arztes für den Verlegungswunsch derart gewichtig sind, dass die grundsätzlich vorrangigen Gesichtspunkte der vertragsärztlichen Versorgung ausnahmsweise zurückzutreten haben (vgl oben RdNr 30). Erst dann trifft den Vertragsarzt bzw das MVZ die Obliegenheit, die persönlichen Gründe für den Verlegungswunsch offenzulegen und ggf zu belegen.
- Das LSG ist selbst davon ausgegangen, dass der Verlegungsantrag nicht lediglich „pro forma“ gestellt worden ist. Es durfte nicht allein aus der zeitlichen Abfolge – Stellung des Antrags nach der Ankündigung eines Zulassungsentziehungsverfahrens – darauf schließen, dass der Antrag unbeachtlich sei. Soweit das LSG weitere Aspekte anführt, die gegen eine positive Prognoseentscheidung sprechen sollen, bindet dies den Senat nicht. Denn eine Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des LSG tritt dann nicht ein, wenn die getroffenen Feststellungen auf einer Verletzung von bei der Beweiswürdigung zu beachtenden Rechtsgrundsätzen beruhen. Das ist ua dann der Fall, wenn es den Feststellungen an einer hinreichenden Grundlage fehlt, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt nachzuvollziehen, wie das LSG zu der seine Entscheidung tragenden Überzeugung gelangt ist oder das LSG zu dem von ihm gefundenen Ergebnis der Beweiswürdigung überhaupt nicht kommen konnte, es also gleichsam ins Blaue hinein Feststellungen getroffen hat, die sich in Wahrheit als Mutmaßungen oder bloße Unterstellungen erweisen (vgl BFH Urteil vom 17.5.2005 – VII R 76/04 – BFHE 210, 70 = juris RdNr 9 mwN; vgl auch BSG Urteil vom 13.12.2022 – B 1 KR 33/21 R – juris RdNr 27, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR-4 vorgesehen).
- Vorliegend konnte das LSG auf der Grundlage der von ihm benannten Aspekte nicht zu dem von ihm gefundenen Ergebnis kommen. So stützt sich das LSG wesentlich darauf, dass es für die Klägerin „nahegelegen“ hätte, „Einzelheiten zum geplanten Umzug nach G vorzutragen, da der hiermit verbundene Aufwand angesichts sensibler, teurer und nur durch Spezial-Speditionen zu transportierender Laborautomaten eine umfangreiche Detailplanung und die Beauftragung zahlreicher externer Dienstleister erfordert hätte.“ Unabhängig davon, dass es der Klägerin unbenommen ist, eine derartige Planung erst vorzunehmen, wenn ihr Sitzverlegungsantrag positiv beschieden wurde, hatte sie von Anfang an vorgetragen, dass eine Mitnutzung des bestehenden Labors in G beabsichtigt war, sodass ein Umzug nicht hätte durchgeführt werden müssen. Aufgrund welcher (weiterer) Umstände ein Vortrag zu den Modalitäten eines Umzugs, der nach dem Vorbringen der Klägerin gar nicht erforderlich war, „nahegelegen“ hätte, führt das LSG nicht aus. Auch der Vorwurf des LSG, das einzige zur Bestätigung der klägerischen Behauptungen vorgelegte Dokument, ein Schreiben des Klinikums in G vom 27.3.2014, sei nicht an die Klägerin, sondern vielmehr an die MVZ N gerichtet gewesen, trägt nicht. Es übergeht, dass die Klägerin – vom LSG im Tatbestand zitiert und vom Beklagten unwidersprochen – vorgetragen hatte, ua mit der MVZ N seit Juli 2012 eine genehmigte orts- und KÄV-Bezirk-übergreifende Berufsausübungsgemeinschaft zu bilden.
- ff) Der Prognoseentscheidung zugunsten der Wiederaufnahme der vertragsärztlichen Tätigkeit des MVZ der Klägerin in angemessener Frist steht nach den vorherigen Ausführungen nichts entgegen. Das MVZ der Klägerin wollte seine vertragsärztliche Tätigkeit wieder aufnehmen, sobald der Beklagte die Sitzverlegung nach G genehmigt hätte; die Klägerin selbst ging dabei davon aus, dass dies in der Sitzung des Zulassungsausschusses vom 3.4.2014 geschehen könnte. Angesichts der von der Klägerin beabsichtigten Mitnutzung des bereits bestehenden Labors am Standort des Krankenhauses in G und der insoweit nach dem Vorbringen der Klägerin mit der Klinik zwischenzeitlich getroffenen Vereinbarung ist davon auszugehen, dass die Aufnahme tatsächlich zeitnah nach Zugang des Genehmigungsbescheides hätte erfolgen können. Auch Versorgungsgründe, die einer Verlegung des Sitzes entgegenstehen könnten, sind weder ersichtlich noch von dem Beklagten vorgetragen worden. Die Zulassungsentziehung war somit rechtswidrig, da der Beklagte zunächst das Ruhen der Zulassung hätte anordnen müssen.
- 2. Der Beklagte wird über den Sitzverlegungsantrag der Klägerin noch in der Sache zu entscheiden haben. Dieser hat sich nicht erledigt. Einer Bescheidung durch den Beklagten steht nicht entgegen, dass der Antrag nicht Gegenstand des Bescheides des Zulassungsausschusses gewesen ist. Stellt der Zulassungsausschuss sich – wie hier – auf den Standpunkt, er müsse über einen Sitzverlegungsantrag nicht (mehr) entscheiden, da sich dieser mit der Entziehung der Zulassung erledigt habe, muss die Klägerin diese Rechtsansicht durch den beklagten Berufungsausschuss überprüfen lassen können, auch wenn insoweit ein Beschluss des Zulassungsausschusses (vgl § 44 Satz 2 Ärzte-ZV) nicht vorliegt.
- B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 1 VwGO. Danach hat der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen zu tragen. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da diese keine eigenen Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO, vgl BSG Urteil vom 31.5.2006 – B 6 KA 62/04 R – BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Oppermann
Loose
Just