Pferderecht Alttag

Aller Anfang ist schwer

Gerade bei Reitanfängern besteht naturgemäß aufgrund der noch fehlenden
Sicherheit im Sattel eine erhöhte Gefahr des Herunterfallens und somit auch
verstärktes Verletzungspotential – umso mehr ein Grund für Reitlehrer, ein
besonderes Maß an Sorgfalt bei der Umsetzung von Sicherheitsvorkehrungen
einzuhalten und bei blutigen Anfängern absolut kein Risiko einzugehen, beginnend
bei der Auswahl des Pferdes für die Reitstunde, den Rahmenbedingungen für den
Unterricht und schließlich bei den Anforderungen an den Schüler selbst.
Dies zeigt ein Fall auf, der dem Oberlandesgericht Brandenburg Ende letzten Jahres
zur Beurteilung vorlag, in dem die beklagte Reitschulbetreiberin die Einhaltung dieser
Sorgfalt bei einer Anfängerreitstunde gerade nicht nachweisen konnte und insofern
der Reitschülerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haften musste. Den
Regeln für eine Anfängerreitstunde war nicht entsprochen worden und die
Vorgehensweise der Reitlehrerin wurde insgesamt als äußerst risikofreudig bewertet.
Aufgrund der unsachgemäßen Handhabung und mangelnden Einhaltung von
Sicherheitsstandards konnte das Durchgehen des Pferdes und der folgende Sturz
der Reitschülerin nicht verhindert werden. Was war passiert?
Die Reitlehrerin hatte, ohne Longen- oder Leinenverbindung zu dem Pferd zu halten,
die Reitanfängerin, die erst ihre zweite Reitstunde absolvierte, auf dem Pferd einen
Rundweg draußen um den Reitplatz reiten lassen. Ein Laubrascheln vom
Nachbargrundstück ließ das Pferd scheuen und ein paar unkontrollierte Bocksprünge
machen, wodurch die Reitschülerin stürzte und sich dabei nicht unerhebliche
Verletzungen in Form von Frakturen an der Brust- und Lendenwirbelsäule zuzog. Sie
beanspruchte Schadensersatz und Schmerzensgeld vor Gericht, welches sich somit
mit der Haftung der Reitschule als Tierhalterin auseinandersetzen musste.
Grundsätzlich haftet jeder Tierhalter völlig verschuldensunabhängig für Schäden, die
durch sein Tier verursacht werden – in der Regel wird dafür eine
Tierhalterhaftpflichtversicherung abgeschlossen. Doch es gibt ein paar
Besonderheiten, u.a. die, dass ein Nutztierhalter dann nicht für Schäden haftet, die
sein Tier angerichtet hat, wenn ihn selbst kein Verschulden an dem Vorfall trifft. Der
Nutztierhalter kann sich damit von der ansonsten uneingeschränkten Haftung des
Tierhalters entlasten, wenn er im konkreten Streitfall vor Gericht beweisen kann,
dass er alle Regeln der Sorgfalt im Umgang im dem Tier beachtet hat und der
Schaden trotz Beachtung dieser Sorgfaltspflicht eingetreten wäre. Was sind
Nutztiere? Neben Schweinen, Kühen und Hühnern sind dies alle zu Erwerbszwecken
gehaltene Tiere, wie eben auch zur Vermietung oder zum Verkauf gehaltene Pferde
oder auch Schulpferde einer Reitschule. Bei Vereinen, die Schulpferde halten, muss
differenziert werden, ob der Verein Gewinne mit der Pferdehaltung erzielt oder ob es
sich um einen so genannten „Idealverein“ handelt, der keinem wirtschaftlichen Zweck
dient.
Im oben geschilderten Fall war die Nutztierhaltereigenschaft der Reitschulbetreiberin
jedenfalls unproblematisch gegeben, weshalb diese versuchte, das fehlende
Verschulden an dem Unfall vor Gericht zu beweisen. An diesen so genannten
Entlastungsbeweis werden allerdings hohe Anforderungen gestellt. Das Gericht ließ
die Unfallsituation und die Vorgehensweise der Reitlehrerin durch einen
Sachverständigen für Pferdesport prüfen und begutachten. Dieser schätzte das oben
geschilderte Vorgehen als äußerst unbekümmert und risikofreudig ein. Ein
Reitanfänger habe grundsätzlich an der Longe oder am Führstrick geführt zu werden
und sei erst nach 10-14 Reitstunden zum freien Reiten zuzulassen. Dabei verwies
der Gutachter auch auf die Vorgaben der FN. Danach solle auch für die ersten
Reitstunden eine geschützte Umgebung ausgesucht werden, in der möglichst wenig
Umweltreize das Pferd beeinflussen können. Nahezu unverständlich sei im
vorliegenden Fall gewesen, dass die Reitlehrerin keine Verbindung durch einen
Strick oder eine Führkette zum Pferd gehalten habe, was das Wegspringen und
damit den eingetretenen Schadensfall hätte verhindern können. Die Beklagte konnte
sich somit nicht des Verschuldens an dem Unfall entlasten und musste deswegen für
die Unfallfolgen der Reitschülerin in Form von Schmerzensgeld und Verdienstausfall
einstehen (OLG Brandenburg, 11.12.21, 11 U 99/21).