Pferderecht Alttag

Was, wenn die Rittigkeit fehlt?

Unrittigkeit ist keine Krankheit und löst ohne hinzutretende Umstände keine
Gewährleistungsrechte beim Pferdekauf aus.
Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofes (27.05.2020, VIII ZR 315/18)
beschäftigt sich mit physiologischen Abweichungen von der Norm auf
Röntgenbildern ebenso wie mit Rittigkeitsproblemen als Sachmängel beim
Pferdekauf.
Das streitgegenständliche Pferd wies (wie später nachgewiesen wurde) zum
Zeitpunkt des Erwerbs des Pferdes röntgenologische Veränderungen in Form von
„Kissing Spines“ auf, die nach dem zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses noch
geltenden alten Röntgenleitfaden in die Röntgenklasse III bis IV einzustufen waren.
Diese Abweichungen von der Norm – ohne klinische Relevanz – stellen jedoch,
sofern keine anderen Beschaffenheitsvereinbarungen zwischen den Parteien des
Kaufvertrags geschlossen wurden, keinen Mangel dar. Es gehöre nicht zur üblichen
Beschaffenheit eines Tieres, dass es in jeder Hinsicht einer „Idealnorm“ entspreche,
wenn durch die Abweichungen von dieser Norm ein klinisch unauffälliges Pferd
dadurch nicht in seiner gewöhnlichen Verwendung als Reitpferd oder für die
vertraglich vorausgesetzte Verwendung beeinträchtigt wird und auch die
Wahrscheinlichkeit dafür, dass es zukünftig klinische Symptome entwickeln wird, die
der Verwendung als Reitpferd entgegenstehen eher gering ist. Diesen Grundsatz hat
der BGH nun schon mehrfach in seinen Entscheidungen zugrunde gelegt (BGH VIII
ZR 266/06; VIII ZR 32/16; VIII ZR 69/18). Bei Tieren handele es sich um Lebewesen,
die einer ständigen Entwicklung unterliegen und die – anders als Sachen – mit
individuellen Anlagen ausgestattet und dementsprechend auch mit unterschiedlichen
Risiken behaftet seien. Der Verkäufer eines Pferdes hafte nicht für den Fortbestand
des bei Übergabe bestehenden Gesundheitszustandes.
Nun traten jedoch bei dem Pferd innerhalb von sechs Monaten „Rittigkeitsprobleme“
in Form von Widersetzlichkeiten auf, die von der Klägerin auf das Vorliegen der
röntgenologischen Befunde zurückgeführt wurden. Über ein Jahr nach dem Kauf
focht deswegen die Klägerin den Kaufvertrag an und anderthalb Jahre danach
erklärte sie den Rücktritt. Schließlich wurde die Rückabwicklung des Kaufes
klageweise begehrt. In erster Instanz wurde die Klage der Pferdekäuferin
abgewiesen, in zweiter Instanz hatte sie Erfolg. Das Oberlandesgericht war der
Ansicht, da die Rittigkeitsmängel in den ersten sechs Monaten nach dem Kauf
aufgetreten seien und die Röntgenbefunde zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs
vorgelegen hätten – was beides für sich betrachtet noch keine
Gewährleistungsrechte begründen würde – läge jedoch in der Kombination von
beidem eine zum Rücktritt berechtigende Mangelerscheinung, bei der vermutet
werde, sie habe auch schon zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs bestanden (es
handelte sich um einen Verkauf zwischen einem Unternehmer und einem
Verbraucher, bei einem Verkauf unter Privatleuten oder unter Profis gilt diese
Vermutung ohnehin nicht).
Dieses Urteil hielt jedoch einer höchstrichterlichen Überprüfung nicht stand. Der
Verkäufer legte die Revision beim BGH ein und bekam recht. Denn – wie oben
bereits ausgeführt – stellten nicht nur die Röntgenbefunde des Pferdes für sich
betrachtet schon keinen Mangel dar. Auch beurteilte der BGH „Rittigkeitsprobleme“
in Form von Widersetzlichkeiten nicht als klinische Symptomatik, insbesondere sei
nicht nachgewiesen, dass das Pferd krank sei, in der Form, dass es
Krankheitssymptome eines „Kissing Spine- Syndroms“ aufweise. Der bloße Kissing-
Spine Befund seien kein krankhafter Zustand – und Rittigkeitsprobleme auch nicht.
Eine veterinärmedizinische Definition des Begriffs „Rittigkeitsprobleme“ existiere
nicht. Ein Blockieren des Pferdes als klinische Erscheinung des Röntgenbefundes zu
vermuten, reiche nicht aus, um einen Sachmangel festzustellen. Widersetzlichkeiten
können auch Ausdruck des natürlichen Fluchtinstinktes sein oder auf unzureichender
Verständigung und Disharmonie zwischen Pferd und Reiter beruhen. Dies könne
auch bei qualifizierten Reitern nicht ausgeschlossen werden. Entspreche die
Rittigkeit des Pferdes nicht den Vorstellungen des Reiters, realisiere sich (solange
keine klinischen Auswirkungen hinzutreten) für den Käufer lediglich der Umstand,
dass es sich bei dem Pferd um ein Lebewesen handele, welches mit individuellen
Anlagen ausgestattet und dessen Entwicklung mit unterschiedlichen Risiken behaftet
sei. Das oberlandesgerichtliche Urteil (welches auch noch andere rechtliche Lücken
aufwies) wurde deswegen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung dorthin
zurückverwiesen.