BGH vom 30.04.2013, VI ZR 13/12
BGB § 833 Satz 1
a) Für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB ist es grundsätzlich unerheblich, ob derjenige, der von einem Pferd stürzt, mit oder ohne Einverständnis des Inhabers der tatsächlichen Sachherrschaft reiten wollte.
b) Dieser Umstand kann jedoch im Rahmen eines etwaigen – vom Schädiger zu beweisenden – Mitverschuldens im Sinne des § 254 BGB Berücksichtigung finden.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. April 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner, Pauge und Stöhr sowie die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 25. November 2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagten aus einem Reitunfall in Anspruch.
Der Beklagte zu 3 ist einer der Geschäftsführer der Beklagten zu 1, die Beklagte zu 2 dessen Tochter. Die Beklagte zu 2, die ca. 500 km entfernt in Berlin lebt, ist als Eigentümerin des Pferdes eingetragen, die tatsächliche Ge-walt über das Pferd übt jedoch der Beklagte zu 3 aus, der vor Ort lebt.
Die Klägerin begab sich am 8. September 2006 in die Reithalle der Be-klagten zu 1 und versuchte, auf das Pferd „Peppermint“ zu steigen. Dabei kam sie zu Fall und erlitt eine Oberkieferfraktur sowie eine Schädelplatzwunde. Sie nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld (mindestens 20.000 €), Zahlung und Feststellung in Anspruch.
Die Parteien haben in den Vorinstanzen neben der Frage, wer auf Seiten der Beklagten als Halter des Pferdes anzusehen sei, im Wesentlichen darum gestritten, ob der Beklagte zu 3 sich mit einem Ritt der Klägerin auf dem Pferd zuvor einverstanden erklärt habe und ob ihr ein Mitverschulden an dem Unfall anzulasten sei, weil sie – unstreitig – keine Reitkappe trug, eine Aufstiegshilfe ablehnte, beim Aufsteigen eine Gerte in der Hand hielt und die Zügel nicht aufgenommen hatte. Das Landgericht hat die ursprünglich nur gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage zunächst durch Versäumnisurteil abgewiesen. Gegen das Versäumnisurteil hat die Klägerin (rechtzeitig) Einspruch eingelegt und die Klage auf die Beklagten zu 2 und 3 erweitert. Daraufhin hat das Landgericht sein Versäumnisurteil aufrechterhalten und die Klage auch im Übrigen abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht zu-rückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat die Klage als nicht begründet erachtet, weil die Klägerin den Beweis nicht geführt habe, dass ihr das Pferd durch den Beklagten zu 3 zum Reiten überlassen worden sei. Deshalb könne offenbleiben, wer auf Seiten der Beklagten als Halter des Pferdes anzusehen sei und ob der Klägerin ein Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB an dem Unfall anzu-lasten sei.
II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Eine Tierhalterhaftung aus § 833 Satz 1 BGB kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit der Begründung verneint werden, die Klä-gerin habe nicht bewiesen, dass ihr das Pferd vom Beklagten zu 3 zum Reiten überlassen worden sei.
1. Das Berufungsgericht geht zwar entsprechend dem Senatsurteil vom 9. Juni 1992 – VI ZR 49/91 (VersR 1992, 1145) zutreffend davon aus, dass der Halter eines Reitpferdes dem Reiter, der sich beim Sturz vom Pferd verletzt, auch dann nach § 833 BGB zum Schadensersatz verpflichtet sein kann, wenn er dem Verletzten das Pferd aus Gefälligkeit überlassen hat. Zu Unrecht sieht das Berufungsgericht jedoch in dem „Überlassen“ des Pferdes ein von der Klägerin zu beweisendes Tatbestandsmerkmal des § 833 Satz 1 BGB.
a) Die Klägerin ist durch das Reitpferd „Peppermint“ an Körper und Gesundheit beschädigt worden. Nach dem revisionsrechtlich zu unterstellenden Sachvortrag der Klägerin ist auch davon auszugehen, dass sich in dem Reitunfall eine spezifische Tiergefahr (als ungeschriebene Voraussetzung des § 833 BGB) verwirklicht hat, die sich in einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbständigen Verhalten äußerte (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 1982 – VI ZR 188/80, VersR 1982, 366 Rn. 13). Damit sind die Haftungsvoraussetzungen des § 833 BGB gegeben.
b) Ob die Klägerin das Pferd mit oder ohne Einverständnis desjenigen, der die tatsächliche Sachherrschaft über es ausübte, reiten wollte, ist – wie die Revision mit Recht geltend macht – für die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB grundsätzlich unerheblich und kann nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats regelmäßig nur im Rahmen eines etwaigen – vom Schädiger zu beweisenden – Mitverschuldens im Sinne des § 254 BGB Berücksichtigung finden (vgl. etwa Senatsurteil vom 17. März 2009 – VI ZR 166/08, VersR 2009, 693 Rn. 7). Die Tierhalterhaftung kann auch dann eingreifen, wenn sich jemand einem Tier unbefugt nähert (vgl. Senatsurteil vom 3. Mai 2005 – VI ZR 238/04, VersR 2005, 1254, 1255 mwN).
2. Allerdings kann nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats eine Haftung des Tierhalters trotz Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 833 Satz 1 BGB ausnahmsweise entfallen.
Bei der Tierhalterhaftung hat der erkennende Senat eine vollständige Haftungsfreistellung auch des Tierhalters unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erwogen, wenn beispielsweise der Geschädigte sich mit der Übernahme des Pferdes oder der Annäherung an ein solches bewusst einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise mit dem Reiten oder der Nähe zu einem Pferd verbundenen Gefahren hinausgeht (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2005 – VI ZR 225/04, VersR 2006, 416 Rn. 12). Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Tier erkennbar böser Natur ist oder erst zugeritten werden muss oder wenn der Ritt als solcher spezifischen Gefahren unterliegt, wie beispielsweise beim Springen oder bei der Fuchsjagd (vgl. Senatsurteile vom 24. November 1954 – VI ZR 255/53, VersR 1955, 116; vom 14. Juli 1977 – VI ZR 234/75, VersR 1977, 864, 865 und vom 19. November 1991 – VI ZR 69/91, VersR 1992, 371, 372) oder der Geschädigte sich dem Halter im vorwiegend eigenen Interesse an seinem reiterlichen Ruf mit der Bitte um Überlassung eines weigerlichen und erregten Pferdes geradezu aufgedrängt hat (vgl. Senatsurteil vom 13. November 1973 – VI ZR 152/72, VersR 1974, 356 f.). Das Bewusstsein der besonderen Gefährdung ist dabei stets Voraussetzung, um ein Handeln des Geschädigten auf eigene Gefahr annehmen zu können; ob unter diesem Blickpunkt die Haftung des Tierhalters von vornherein entfällt, kann nur nach einer umfassenden Interes-senabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden (vgl. Senatsurteile vom 19. November 1991 – VI ZR 69/91, aaO und vom 20. Dezember 2005 – VI ZR 225/04, aaO Rn. 16). Eine solche Fallgestaltung liegt nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch nicht vor.
3. Nach alledem konnte das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht die Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen nachzuholen.
Galke Wellner Pauge
Stöhr von Pentz
Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 16.02.2011 – 5 O 126/09 –
OLG Hamm, Entscheidung vom 25.11.2011 – I-9 U 38/11 –